20. Oktober 2015   

Willkommen zur Ausgabe Nr. 3 / 2015 der EBR-News.

 

Die Akademie für Europäische Betriebsräte (EWC Academy)

informiert Sie rund um den Europäischen Betriebsrat und angrenzende Themen.

 

Die EBR-News erscheinen viermal jährlich.

Weitere Ausgaben finden Sie im Newsletter-Archiv.

     

Zum Ausdrucken können Sie diese Ausgabe der EBR-News als pdf-Datei downloaden.

 

 

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  1. Neue Betriebsverfassung in Frankreich und Luxemburg
 
 

Sozialer Dialog soll modernisiert werden

 

Am 18. August 2015 ist in Frankreich ein Paket an gesetzlichen Regelungen in Kraft getreten, das sowohl die Betriebsverfassung als auch die Mitbestimmung im Aufsichtsrat erheblich verändert. Das Gesetz zum sozialen Dialog und zur Beschäftigung, als "loi Rebsamen" nach dem bis kürzlich amtierenden sozialistischen Arbeitsminister François Rebsamen (Foto) benannt, zielt auf die Modernisierung der Sozialbeziehungen. Die französische Betriebsverfassung sei von komplexen und starren Regelungen und einer "Kultur des Mißtrauens" geprägt, so die Meinung der Regierung.

 

Zunächst war geplant, die Inhalte des Gesetzes von den Tarifparteien einvernehmlich aushandeln zu lassen. Dieser Versuch scheiterte jedoch am 25. Januar 2015. Daraufhin legte die Regierung einen eigenen Text vor. Das Gesetz ist ein wichtiger Baustein ihres Reformprogramms zur Ankurbelung der Wirtschaft und zum Abbau der Arbeitslosigkeit, die mit fast 11% mehr als doppelt so hoch ist wie in Deutschland. Schon am 1. Januar 2014 sind Änderungen am Konsultationsverfahren der Betriebsräte bei Restrukturierungen in Kraft getreten (siehe Bericht in den EBR-News 1/2014).

 

Viele Aufsichtsräte künftig mit Arbeitnehmervertretern

 

Erst seit Juni 2013 sind Unternehmen in Frankreich gesetzlich verpflichtet, Arbeitnehmervertreter mit vollem Stimmrecht in den Aufsichts- oder Verwaltungsrat zu integrieren. Die Schwelle lag aber sehr hoch: die Mitbestimmung galt nur für Unternehmen ab 5.000 Beschäftigte in Frankreich oder mehr als 10.000 weltweit (siehe Bericht in den EBR-News 2/2013). Vor 2013 gab es Mitbestimmung nur in staatlichen oder ehemals staatlichen Unternehmen. Das neue Gesetz senkt die Schwelle jetzt auf 1.000 Beschäftigte in Frankreich (bzw. 5.000 weltweit). Damit steigt die Zahl der von Mitbestimmung erfaßten Unternehmen (bisher etwa 200) beträchtlich an. Auch die Zahl der Arbeitnehmervertreter wird wachsen, allerdings dürfen diese nicht gleichzeitig ein Mandat im Betriebsrat ausüben.

Die Strukturen der Betriebsräte werden reformiert

 

Bisher gibt es in französischen Betrieben drei Gremien nebeneinander: die Personaldelegierten, den Betriebsrat und den Arbeitssicherheitsausschuß. In Betrieben bis 300 Beschäftigte werden diese drei Instanzen künftig zusammengelegt, in größeren Betrieben auf freiwilliger Basis. Auch das Recht des Betriebsrates auf Anhörung wird vereinfacht. Bisher gibt es 17 Pflichtanhörungen pro Jahr, die sich in 50 verschiedenen gesetzlichen Regelungen finden. Diese sind jetzt im Arbeitsgesetzbuch in einem eigenen Kapitel zusammengefaßt und beschränken sich auf drei Kernbereiche:

  • Die Anhörung zur strategischen Ausrichtung des Unternehmens
  • Die Anhörung zur wirtschaftlichen und finanziellen Lage
  • Die Anhörung zu Sozialpolitik, Arbeitsbedingungen und Beschäftigung

Der Betriebsrat tagt nach wie vor unter dem Vorsitz des Arbeitgebers. Für interne Diskussionen, wie sie in einer deutschen Betriebsratssitzung geführt werden, trifft sich die Arbeitnehmerseite immer zu Vorbesprechungen. Die Sitzung des französischen Betriebsrates hat einen stark juristisch geprägten Charakter. Der Arbeitgeber steht unter Beweiszwang, ob er eine Anhörung korrekt durchgeführt hat. Andernfalls können seine Maßnahmen gerichtlich gestoppt werden. Künftig sind Sitzungen auch als Videokonferenz möglich und der Arbeitgeber kann sie aufzeichnen. Dies gilt auch für Gesamt- und Konzernbetriebsräte sowie für Europäische Betriebsräte, die französischem Recht unterliegen.

 

Anhörung im französischen Sinne beinhaltet immer die genaue Prüfung der Angelegenheit durch externe Sachverständige, die der Betriebsrat selbst auswählt. Erst danach gibt der Betriebsrat seine Stellungnahme ab und beendet die Anhörung. Von dieser Philosophie ist auch die Richtlinie zum Europäischen Betriebsrat geprägt (siehe Bericht in den EBR-News 3/2011).


 

Luxemburg wechselt vom belgischen zum deutschen Modell

 

Das Gesetz vom 23. Juli 2015 über die Reform des Sozialdialogs innerhalb der Unternehmen bedeutet für Luxemburg eine Zeitenwende. Am 1. Januar 2016 tritt es in Kraft und führt einen Betriebsrat nach deutschem Vorbild ein. Der seit 1974 bestehende Betriebsrat nach belgischem Muster, eine paritätische Kommission aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern in Betrieben mit mehr als 150 Beschäftigten, wird abgeschafft. Künftig kann ein Betriebsrat in jedem Betrieb ab 15 Beschäftigten gegründet werden. Ursprünglich sollte das Gesetz schon 2013 in Kraft treten (siehe Bericht in den EBR-News 1/2013), es kam jedoch durch eine Regierungskrise zu Verzögerungen.

 

Der Betriebsrat ("délégation du personnel") hat das Recht auf Unterrichtung und Anhörung, dessen Inhalt sich stark an den Text der neuen EBR-Richtlinie anlehnt, und in Betrieben mit mehr als 150 Arbeitnehmern zusätzlich auch Mitbestimmungsrechte bei einzelnen Themen der Personalpolitik. Es gibt Arbeitssicherheits- und Gleichstellungsbeauftragte und der Arbeitgeber hat Sachverständige zu bezahlen, die der Betriebsrat sich selbst auswählen kann. In Betrieben ab 250 Beschäftigten wird ein Betriebsratsmitglied komplett von der Arbeit freigestellt, ab 501 Beschäftigte sind es zwei. Einmal pro Jahr findet während der Arbeitszeit eine Betriebsversammlung statt. Jedes Betriebsratsmitglied hat Anspruch auf Bildungsurlaub. Bei Meinungsverschiedenheiten ist eine Einigungsstelle ("commission de médiation") mit einem neutralen Vorsitzenden vorgesehen.

 

Der christliche Gewerkschaftsbund LCGB kritisierte das Gesetz, da es den Betriebsräten Aufgaben übertrage, für die bislang die Gewerkschaftsgliederungen zuständig sind. Der sozialdemokratische Gewerkschaftsbund OGBL begrüßte das neue Gesetz. Negativ äußerte sich der Arbeitgeberverband. Die letzten Betriebsratswahlen nach alter Rechtslage fanden im November 2013 statt. Mehr als 50% aller Mandate entfielen auf gewerkschaftsfreie Kandidaten (siehe Bericht in den EBR-News 4/2013).

  2. Tarifsysteme und Arbeitsrecht in weiteren Ländern
 

 

Neuaufbau des Tarifvertragssystems in Griechenland

 

Seit 2011 erlebt Griechenland unter dem Druck der Troika einen Niedergang seines Tarifsystems. Dabei wurden auch Standards des kollektiven Arbeitsrechts wie das Günstigkeitsprinzip sowie das Recht der Regierung, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, komplett abgeschafft. Flächentarifverträge sind fast nicht mehr zu finden.

 

Die im Januar 2015 erstmals gewählte Syriza-Regierung erklärte den Wiederaufbau des griechischen Tarifsystems zu einer ihrer wichtigsten Prioritäten und legte im April 2015 einen Gesetzentwurf vor, der jedoch am Widerstand der Geldgeber scheiterte. Von der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend unbeachtet konnte sie diese Forderung am Ende dennoch durchsetzen. Im dritten Memorandum mit den Geldgebern vom August 2015 ist vorgesehen, die Entwicklung des Tarifvertragssystems unter Einbeziehung unabhängiger Experten und internationaler Organisationen (darunter die Internationale Arbeitsorganisation ILO) zu überprüfen, um auf dieser Grundlage weitere Reformen durchzuführen, die sich an den "besten Praktiken in der EU" orientieren sollen. Explizit wurde festgehalten: die einfache "Rückkehr zu den politischen Vorgaben der Vergangenheit" soll es nicht geben.



Proteste gegen "neues Sozialmodell" in Litauen
 
Am 10. September 2015 protestierten litauische Gewerkschaften vor dem Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Wilna gegen die von der sozialdemokratischen Regierung geplante Arbeitsrechtsreform. Sie soll im Oktober 2015 verabschiedet werden und ist bisher nicht mit den Tarifparteien abgestimmt. Um das Land wettbewerbsfähiger zu machen, soll ein neues Sozialmodell eingeführt und das gesamte Arbeits- und Sozialrecht modernisiert werden. Die Kündigungsfrist soll nur noch drei Tage betragen, Abfindungen und Schutzregeln für Schwangere und Eltern erheblich reduziert und befristete Arbeitsverträge massiv ausgebaut werden. Für Gewerkschaftsarbeit sollen künftig restriktive Regeln gelten. Litauen hat eine Arbeitslosenquote von 9,6% und ist als letztes der drei baltischen Staaten am 1. Januar 2015 der Eurozone beigetreten (siehe Bericht in den EBR-News 3/2014).


 

Drohender Abbau des Tarifvertragssystems in Finnland

 

Am 18. September 2015 fand in Finnland ein Generalstreik gegen Sozialkürzungen und Einschränkungen des Tarifvertragssystems statt. Die seit dem 29. Mai 2015 regierende konservative Koalition mit Beteiligung einer rechtspopulistischen Partei will Jahresurlaub kürzen, Zuschläge für Überstunden und Sonntagsarbeit kappen und die Bezahlung von zwei Feiertagen sowie des ersten Tages einer Krankmeldung generell abschaffen.

 

Zunächst wollte die Regierung einen "Sozialpakt" mit den Tarifparteien schließen. Nachdem dieser am 21. August 2015 scheiterte, kündigte sie am 9. September 2015 einseitig Maßnahmen an, um die Arbeitskosten zu reduzieren. Künftig sollen Tarifverträge nicht mehr Mindestbedingungen regeln, sondern das Maximum. Die Gewerkschaften sehen dies als Angriff auf die Koalitionsfreiheit. Finnland ist seit Jahren in einer Rezession mit steigender Arbeitslosigkeit, die derzeit bei 9,7% liegt. 

  3. Betriebspolitische Konflikte in den Schlagzeilen
     

 

SAS-Flugbegleiter verklagen schwedische Gewerkschaft

 

190 Flugbegleiter der skandinavischen Fluggesellschaft SAS reichten am 2. Juni 2015 beim Arbeitsgericht Stockholm Klage gegen die Gewerkschaft Unionen ein. Als Teil eines Sanierungsplans hatte Unionen im November 2012 in einem Haustarifvertrag einer Verschlechterung der Altersversorgung des Kabinenpersonals zugestimmt. Damit gingen große Teile der bereits in den Jahren zuvor durch Gehaltsverzicht erarbeiteten Rentenanwartschaften verloren. Nach Meinung der Betroffenen habe die Gewerkschaft ohne ihre ausdrückliche Zustimmung gehandelt und damit ihre Kompetenzen überschritten. Sie hätte das Geld der Flugbegleiter behandelt, als ob es ihr eigenes wäre. Unionen argumentiert, ohne diesen Sanierungsplan wäre SAS zahlungsunfähig geworden und viele Arbeitsplätze wären weggefallen.


 

Ryanair zieht sich aus Dänemark zurück 

 

Am 1. Juli 2015 urteilte der Arbeitsgerichtshof von Dänemark über die Zuständigkeit für Tarifverhandlungen am Flughafen Kopenhagen im Fall von Ryanair. Die irische Billigfluggesellschaft hatte am 26. März 2015 ihren Stützpunkt eröffnet und weigerte sich, in Tarifverhandlungen mit den dänischen Gewerkschaften einzutreten. Die Begründung hierfür ist ähnlich wie zuvor bereits in anderen Ländern: alle Arbeitsverträge bei Ryanair würden dem Recht des Firmensitzes Irland unterliegen. Diese Haltung hatte im Oktober 2013 in Frankreich beinahe zur Beschlagnahmung von Flugzeugen durch die Staatsanwaltschaft geführt (siehe Bericht in den EBR-News 4/2013).

 

Nach dem Gerichtsurteil rief der dänische Gewerkschaftsbund LO zu Solidaritätsaktionen für den 18. Juli 2015 auf. Ryanair wäre damit von Tankservice, Gepäckabfertigung und Catering ausgeschlossen worden. Für den 23. Juli 2015 waren auch Solidaritätsaktionen gegen Ryanair am Flughafen Billund in Jütland angekündigt. Daraufhin entschied die zentrale Leitung am 15. Juli 2015, sich aus Dänemark komplett zurückzuziehen und künftig ab Kaunas in Litauen zu fliegen. Das Gerichtsurteil will Ryanair vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg anfechten. Folgende Texte sind nur in englischer Sprache verfügbar:


 

Umstrittene Tarifeinheit in britischer Bank

 

Am 14. Juli 2015 unterzeichnete die Londoner Großbank Lloyds mit den beiden Gewerkschaften Unite und Accord einen neuen Haustarifvertrag zur Arbeitnehmervertretung. Beide sind Mitglied des Dachverbandes TUC und verhandeln künftig alle kollektiven Angelegenheiten für die gesamte britische Belegschaft. Der mit 42.000 Mitgliedern größten Gewerkschaft im Konzern, die nicht dem TUC angeschlossene Lloyds Trade Union (LTU), wurde die Anerkennung als Tarifpartei entzogen ("derecognition"). Sie ist damit ab sofort von allen Gremien der Arbeitnehmervertretung ausgeschlossen und kann ihre Mitglieder nur noch individuell vertreten, so wie es auch ein privater Rechtsanwalt tun könnte.

 

Die Lloyds Banking Group mit weltweit 85.000 Beschäftigten war 2009 aus der Fusion von Lloyds TSB mit der Bausparkasse Halifax und der Bank of Scotland entstanden. Die Rivalität zwischen der etwas militanteren LTU und den beiden TUC-Gewerkschaften ist eine direkte Folge dieser Fusion, da in jeder Bank eine andere Gewerkschaft ihren Schwerpunkt hatte. Seit drei Jahren verhandelten sie über eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, allerdings ohne Ergebnis. Die Situation erinnert an das deutsche Transportwesen, wo kleine Berufsgewerkschaften gegen die DGB-Gewerkschaften agieren. Eine "derecognition" ist in Deutschland über das Tarifeinheitsgesetz seit Juli 2015 erstmals explizit ermöglicht worden (siehe Bericht in den EBR-News 4/2014). Folgende Texte sind nur in englischer Sprache verfügbar:

  4. Gerichtsurteile in EBR-Fragen
 

Keine Konsultationsrechte für nationale Tochtergesellschaft
 

Am 21. Mai 2015 lehnte das Berufungsgericht von Versailles den Anspruch des Europäischen Betriebsrates von Transdev, ein französischer Konzern im Transportsektor, auf Unterrichtung und Anhörung über die Zukunft der insolventen Fährgesellschaft SNCM aus Marseille ab. Das Gericht mit Sitz in einem historischen Gebäude (Foto) am Rande des berühmten Schlosses bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz von November 2014 (siehe Bericht in den EBR-News 4/2014). Da beide Geschäftsleitungen ihren Sitz in Frankreich haben und SNCM lediglich 2,5% der Gesamtbelegschaft von Transdev ausmacht, liegt hier kein länderübergreifender Sachverhalt im Sinne der EBR-Richtlinie vor.

 

Weiterhin befaßte sich das Gericht mit der Frage, wer im Namen eines Europäischen Betriebsrates eine Klage einreichen darf. In diesem Fall waren es 14 Delegierte (zwei Drittel aller EBR-Mitglieder). Die zentrale Leitung argumentierte, einzelne Delegierte dürften nicht im Namen des EBR klagen, da ihnen keine Berechtigung übertragen wurde. Der EBR hätte vielmehr während einer Sitzung mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Beschluß fassen müssen. Die Richter akzeptierten jedoch die Klage der 14 Delegierten, da die Einberufung einer Sondersitzung des EBR einen zeitlichen Vorlauf braucht und dadurch eine eventuelle Rechtsverletzung nicht mehr rechtzeitig abgestellt werden kann.


 
Gewerkschaften können nicht an Stelle des EBR klagen

Am 17. Juli 2015 lehnte das Landgericht Nanterre, einem Vorort von Paris, den Antrag von zwei Gewerkschaften auf einstweilige Verfügung gegen geplante Massentlassungen von Total ab. Der französische Mineralölkonzern will in der Raffinerie La Mède bei Marseille 180 von 430 Arbeitsplätzen abbauen und in England, in der Lindsey Oil Refinery an der Nordseeküste, 180 von 580. Während die CGT in La Mède 48 Tage streikte (Foto), beteiligte sich die Mehrheit der Belegschaft wie auch die drei anderen Gewerkschaften nicht daran. Auch die Konsultation im EBR wurde anders abgewickelt als die CGT sich dies wünschte.
 
Daraufhin verklagte die CGT gemeinsam mit der britischen Gewerkschaft Unite die zentrale Leitung. Die Richter bejahten ausdrücklich das Recht von Gewerkschaften, vor französischen Gerichten ein korrektes Konsultationsverfahren einzufordern. Im konkreten Fall war aber der EBR von Total in seiner letzten Sitzung über die Planungen des Managements anhand von Unterlagen ausführlich informiert worden. Die Mehrheit des EBR unterstützte die Klage der beiden Gewerkschaften daher nicht. Nach Meinung des Gerichts dürfen sich Gewerkschaften in einer solchen Situation nicht an die Stelle eines Europäischen Betriebsrates setzen. Die Gerichtskosten von 5.000 € müssen beide Gewerkschaften je zur Hälfte tragen. Die EBR-Vereinbarung von Total wurde zuletzt im Oktober 2012 überarbeitet und gilt als eine der besten in Frankreich (siehe Bericht in den EBR-News 4/2012).

 

Das deutsche EBR-Gesetz kommt vor das Bundesarbeitsgericht

 

Seit 1994 gibt es die EU-Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat. Niemals wurde bisher ein Rechtsstreit über die Verletzung der Rechte eines EBR an die obersten deutschen Arbeitsrichter herangetragen. Am 12. Oktober 2015 ließ das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg die Rechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht zu, nachdem es einen Unterlassungsanspruch in zweiter Instanz abgelehnt hatte.

 

Dem Rechtsstreit liegt eine Werksschließung des australischen Verpackungskonzerns Amcor in Neumünster (Schleswig-Holstein) zum Jahresende 2014 zugrunde. Der Europäische Betriebsrat war hierzu nicht korrekt informiert und angehört worden (siehe Bericht in den EBR-News 1/2015). Vor Gericht spielte am Ende nur noch die richtlinienkonforme Umsetzung des deutschen EBR-Gesetzes eine Rolle. Es war im April 2011 im Deutschen Bundestag eine klare Entscheidung der damaligen konservativ-liberalen Mehrheit, lediglich ein Bußgeld von 15.000 € als Höchststrafe festzulegen. Die damalige sozialdemokratische Opposition konnte sich mit einem Antrag auf härtere Sanktionen nicht durchsetzen (siehe Bericht in den EBR-News 1/2011). Nach Meinung vieler Juristen stellt dies eine Mißachtung der Vorgaben des europäischen Gesetzgebers dar. Die EBR-Richtlinie fordert nämlich explizit "Sanktionen, die wirksam, abschreckend und im Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung angemessen sind". Möglicherweise wird diese Frage zunächst an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg herangetragen, bevor das Bundesarbeitsgericht endgültig entscheidet.

 

  5. Fusionen bestimmen die EBR-Agenda
 
 
Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen gefordert
 
Am 23. Juli 2015 tagte der Europäische Betriebsrat des schweizerischen Baustoff- und Klebstoffherstellers Sika am Standort Bad Urach (Baden-Württemberg). Das von einer Familienholding beherrschte Unternehmen mit weltweit 17.000 Beschäftigten soll an den französischen Konzern Saint-Gobain verkauft werden. In einem offenen Brief forderte der EBR Zusagen vom Vorstandsvorsitzenden von Saint-Gobain, in den ersten drei Jahren nach der Übernahme die Beschäftigung an allen Standorten zu sichern sowie das bestehende Lohngefüge und die standortbezogenen Sozialleistungen nicht zu verschlechtern.
 
Der EBR befürchtet, Teile von Sika könnten ausgegliedert und verkauft werden, um die hohen Kosten der Übernahme zu kompensieren. "Aufgrund dieser für uns ungeklärten Fragen sind wir der Meinung, daß es für Sika und seine Mitarbeiter die beste Lösung wäre, als eigenständiges schweizerisches Unternehmen bestehen zu bleiben", stellen die Arbeitnehmervertreter klar. Saint-Gobain ist einer der zehn größten Industriekonzerne Frankreichs mit 180.000 Beschäftigten in 66 Ländern und verfügt bereits seit 1988 über einen Europäischen Betriebsrat, dessen Vereinbarung zuletzt im Mai 2009 aktualisiert wurde (siehe Bericht in den EBR-News 2/2009). Bei Sika wurde der EBR 1996 gegründet.


Abfüllgesellschaften von Coca-Cola fusionieren
 
Am 6. August 2015 fusionierten die drei großen europäischen Abfüller Coca-Cola Enterprises, Coca-Cola Iberian Partners und Coca-Cola Erfrischungsgetränke zur neuen Gesellschaft Coca-Cola European Partners mit Sitz in London. Das neue Unternehmen hat 50 Abfüllanlagen in 13 Ländern mit 27.000 Beschäftigten, davon 9.500 in Deutschland. Die US-Muttergesellschaft stellt lediglich Konzentrate her. Die Abfüllung übernehmen unabhängige, teils börsennotierte Gesellschaften, die den Namen Coca-Cola nur in Lizenz nutzen. An der Fusion nicht beteiligt ist die Coca-Cola Hellenic Bottling Company für Italien, Österreich und Osteuropa. Es ist das einzige Unternehmen in Europa mit einem Europäischen Betriebsrat nach griechischem Recht (siehe Bericht in den EBR-News 3/2012). Von den drei an der Fusion beteiligten Unternehmen verfügt lediglich Coca-Cola Enterprises über einen EBR, der 1998 nach belgischem Recht gegründet wurde. Für das neue Unternehmen steht jetzt die Bildung eines neuen Europäischen Betriebsrates nach britischem Recht bevor, der alle 13 Länder umfassen wird.
Spanische Belegschaft macht weiter Schlagzeilen

Da Coca-Cola Iberian Partners nur Standorte in Spanien und Portugal hatte, entstand erst vor kurzem die Initiative zur Gründung eines Europäischen Betriebsrates. Der Konflikt um die Schließung von vier Abfüllanlagen erregte jedoch europaweite Aufmerksamkeit. Das höchste spanische Gericht annulierte im Juni 2014 die Entlassung von 1.190 Beschäftigten, da kein korrektes Konsultationsverfahren mit den spanischen Betriebsräten stattgefunden hatte (siehe Bericht in den EBR-News 2/2014). Nach weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen ordneten die Richter schließlich am 13. Juli 2015 an, die Entlassenen unverzüglich wieder zu beschäftigen. Daraufhin wurde der Standort Fuenlabrada bei Madrid am 7. September 2015 wieder eröffnet - zwar nicht als Abfüllanlage, aber als Logistikzentrum.
 
Dieser Konflikt machte nicht nur Schlagzeilen innerhalb der EU und beschäftigte das Europäische Parlament. Kürzlich berichtete sogar die New York Times und stellte die Frage: Kann ein spanisches Gericht ein multinationales Unternehmen zwingen, Coca-Cola gegen seinen Willen abzufüllen? Sollte diese Angelegenheit jetzt dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorgelegt werden, stünde dort eine Grundsatzfrage zur Debatte, die auch viele Europäische Betriebsräte beschäftigt: was beinhaltet ein korrektes Konsultationsverfahren und welche Konsequenzen hat es, wenn die zentrale Leitung nicht korrekt konsultiert?


Europäische Betriebsräte tappen weiter im Dunkeln
 
Obwohl die Fusion bereits im April 2015 angekündigt wurde und die meisten Genehmigungen inzwischen vorliegen, haben die beiden Europäischen Betriebsräte nur solche Informationen bekommen, die auch in der Presse bekannt sind. Am 11. September 2015 tagte die gewerkschaftliche Koordinierungsgruppe für Nokia und Alcatel-Lucent in Brüssel und bemängelte die systematische Mißachtung von Unterrichtungs- und Anhörungsrechten. Es gibt weder Aussagen zum Zeitplan, zum Prozedere noch zu den erwarteten Ergebnissen der Fusion, insbesondere hinsichtlich der Arbeitsplätze. Die Übernahme des französisch-amerikanischen IT-Konzerns Alcatel-Lucent durch den finnischen Nokia-Konzern soll 2016 abgeschlossen sein. Es fehlt noch die Zustimmung der französischen Regierung.
 
Kein juristischer Anspruch auf Konsultation
 
Da beide Europäische Betriebsräte auf Basis einer "freiwilligen" Vereinbarung aus der Zeit vor 1996 arbeiten und somit nicht der EU-Richtlinie unterliegen, kommt es auf den genauen Wortlaut der EBR-Vereinbarung an. Obwohl die Texte in den zurückliegenden Jahren überarbeitet wurden, ist in beiden Fällen kein Recht auf eine profunde Konsultation im Sinne der neuen EU-Standards integriert worden. Allerdings gibt es in beiden Gremien bereits Erfahrungen mit gerichtlichen Auseinandersetzungen (siehe Bericht in den EBR-News 2/2015). Folgende Texte sind nur in englischer Sprache verfügbar:
  6. Nach- und Neuverhandlung von EBR-Vereinbarungen
 
 

Niederländischer Personaldienstleister bekommt vollwertigen EBR

 

Am 10. Juli 2015 wurde für die Randstad Holding eine überarbeitete EBR-Vereinbarung nach niederländischem Recht unterzeichnet. Aus der 1996 gegründeten Plattform für Sozialen Dialog wird erstmals ein vollwertiger Europäischer Betriebsrat, der juristisch auf der neuen EU-Richtlinie basiert. Bei der letzten Aktualisierung der Vereinbarung im November 2011 waren die neuen EU-Standards zur Unterrichtung und Anhörung sowie ein Schulungsanspruch bereits aufgenommen worden (siehe Bericht in den EBR-News 1/2012), aber es blieb weiterhin eine sogenannte "freiwillige" Alt-Vereinbarung.

 

Der Europäische Betriebsrat tagt künftig zweimal jährlich am Hauptsitz des Unternehmens in Diemen bei Amsterdam. Jeder Delegierte hat zusätzlich zu den Sitzungen fünf Tage, die drei Mitglieder des geschäftsführenden Ausschusses sieben Tage Freistellungszeit pro Jahr. Die Mandate werden genau nach der neuen EU-Richtlinie vergeben: jedes Land im Europäischen Binnenmarkt hat mindestens einen Sitz, pro 10% der europäischen Belegschaft einen weiteren. Hinzu kommen zwei Mandate für externe Gewerkschaftsvertreter. Bei Bedarf können Sachverständige hinzugezogen werden. Randstad ist mit 28.000 Beschäftigten in 39 Ländern der zweitgrößte Personaldienstleister der Welt.


 

Belgische Chemiegruppe präzisiert Unterrichtungsmodus

 

Am 11. September 2015 wurde in Brüssel eine "Charta der guten Praxis der Zusammenarbeit" zwischen der zentralen Leitung von Solvay und dem EBR unterzeichnet. Sie definiert den Ablauf des Unterrichtungsverfahrens mit dem Europäischen Betriebsrat und den nationalen Arbeitnehmervertretungen bei größeren Projekten und in wichtigen Feldern der Personalpolitik. Damit wird die EBR-Vereinbarung vom Juni 2014 (siehe Bericht in den EBR-News 4/2014) präzisiert. Bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird, legt die zentrale Leitung ihre detaillierten Pläne in einem frühen Stadium dem Präsidium des EBR vor. Parallel werden diese Informationen in die beteiligten Länder an die lokalen Betriebsräte weitergeleitet.

 

EBR und zentrale Leitung legen dann eine Zeitspanne für die Diskussionen auf nationaler Ebene und die weiteren Schritte auf europäischer Ebene fest. Am Ende passen die nationalen Betriebsräte die Maßnahme an die Rechtslage in ihrem jeweiligen Land an. Diese Methodenvereinbarung hat eine Laufzeit von zwei Jahren (probeweise) und gilt nicht bei Restrukturierungen sowie bei Fusionen und Übernahmen. Solvay hatte im Mai 2015 ein weltweit geltendes Abkommen über Gewinnbeteiligung geschlossen (siehe Bericht in den EBR-News 2/2015).

 

Das Thema der Abstimmung zwischen EBR und nationalen Betriebsräten ist eine sensible Frage, die juristisch nicht eindeutig geregelt ist. Im Juli 2015 war hierzu eine Studie der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Dublin erschienen, die auch einschlägige Gerichtsurteile untersucht hat (siehe Bericht in den EBR-News 2/2015).




Spanische Hotelkette gründet Europäischen Betriebsrat
 
Am 9. Oktober 2015 wurde in Madrid eine EBR-Vereinbarung für NH Hoteles unterzeichnet. Die drittgrößte Hotelgruppe Europas betreibt über 400 Häuser in 29 Ländern der Welt. Neben Spanien waren im Besonderen Verhandlungsgremium (BVG) Deutschland, Österreich, Belgien, die Niederlande, Italien und Rumänien vertreten. Weitere Länder kommen hinzu, wenn sich der neue EBR mit 17 Delegierten (davon vier aus Spanien) bald konstituieren wird. Sie vertreten rund 10.000 Beschäftigte in Europa und wählen fünf Mitglieder in den geschäftsführenden Ausschuß.
 
Die EBR-Vereinbarung basiert auf der neuen EU-Richtlinie und geht an einigen Stellen über deren Mindeststandards hinaus. So wurden Maßnahmen zur Reduzierung prekärer Beschäftigung und zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ausdrücklich in den Vertragstext aufgenommen. In Spanien und anderen Krisenländern spielen diese Themen eine große Rolle. Nach wie vor hat Spanien auch einen großen Rückstand bei der Bildung Europäischer Betriebsräte. Erst in elf weiteren Unternehmen ist bisher ein EBR installiert worden, zuletzt im Januar 2015 beim baskischen Automobilzulieferer Gestamp (siehe Bericht in den EBR-News 1/2015).


Eine Auswahl von EBR-Vereinbarungstexten haben wir auf einer Downloadseite zusammengestellt.

 

  7. Neue SE-Beteiligungsvereinbarungen
      
 
Saatguthersteller vermeidet paritätischen Aufsichtsrat
 
Am 16. März 2015 wurde für den viertgrößten Saatguthersteller der Welt, die KWS Saat in Einbeck (Niedersachsen), eine SE-Vereinbarung unterzeichnet. Das mehrheitlich im Familienbesitz befindliche Unternehmen mit knapp unter 2.000 Arbeitnehmern in Deutschland (5.000 weltweit) konnte mit der SE-Umwandlung einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat vermeiden. Es bleibt bei einer Drittelbeteiligung und die Arbeitnehmerseite erhält zwei von sechs Sitzen.
 
Für die erste Amtszeit wurden die Aufsichtsratsmandate vom Besonderen Verhandlungsgremium (BVG) vergeben. In Zukunft findet eine europaweite Urwahl durch die gesamte Belegschaft statt, so wie es bereits im Juni 2009 für das bayerische Metallunternehmen Warema festgelegt worden war (siehe Bericht in den EBR-News 2/2009). D
er SE-Betriebsrat mit dem Namen "European Employee Committee" (EEC) besteht aus elf Mitgliedern, darunter drei aus Deutschland und acht für die übrigen 16 Länder. Er tagt zweimal jährlich und wählt einen dreiköpfigen geschäftsführenden Ausschuß. Das EEC kann weitere Ausschüsse bilden. Die Vereinbarung hat eine ungewöhnlich lange Laufzeit bis Ende 2027. Einen Europäischen Betriebsrat hatte KWS Saat zuvor noch nicht.


Französische Ingenieurgruppe bildet SE-Betriebsrat
 
Am 30. März 2015 wurde für Akka Technologies in Paris eine SE-Beteiligungsvereinbarung unterzeichnet. Das Familienunternehmen ist in den letzten Jahren durch Akquisitionen erheblich gewachsen und hat heute 11.000 Beschäftigte in 20 Ländern weltweit, darunter 5.600 in Frankreich und 3.000 in Deutschland, wo die Mehrheit an der MBtech Group 2012 von Daimler übernommen wurde. Ebenfalls im März 2015, nur wenige Tage vorher, hatte der französische IT-Konzern Dassault Systèmes eine SE-Vereinbarung geschlossen (siehe Bericht in den EBR-News 2/2015). Bei Akka Technologies tagt der SE-Betriebsrat zweimal jährlich unter dem Vorsitz des Arbeitgebers (französisches Modell). Drei Arbeitnehmervertreter führen als Präsidium die laufenden Geschäfte und treffen sich mindestens zweimal jährlich. Eine Beteiligung im Verwaltungsrat ist nicht vorgesehen.
 


Europäischer Callcenter-Marktführer wird SE

Am 9. Juni 2015 wurde in Paris eine SE-Vereinbarung für Teleperformance unterzeichnet. Das französische Unternehmen hat 182.000 Beschäftigte in 62 Ländern (davon 33.000 im Europäischen Binnenmarkt) und steht mit 20% der Weltbevölkerung in Kontakt. Es ist die größte SE-Umwandlung, die je in Frankreich stattgefunden hat, und eine der größten EU-weit.
 
Am 12. Juni 2014 hatten bei einer Sitzung in Brüssel Verhandlungen zur Bildung eines Europäischen Betriebsrates begonnen. Als die zentrale Leitung ihre Pläne zur Umwandlung in eine Europäische Gesellschaft (SE) bekanntgab, wurden die EBR-Verhandlungen am 18. Oktober 2014 abgebrochen. Das Besondere Verhandlungsgremium (BVG) ist in einem solchen Fall komplett neu zu wählen. Ihm gehörten 33 Delegierte aus 19 Ländern an. Nach mehreren Verhandlungsrunden vereinbarten sie die Bildung eines SE-Betriebsrates, konnten aber keine Beteiligung im Verwaltungsrat durchsetzen.

In Frankreich ist es bereits die vierte SE-Umwandlung im laufenden Jahr, allmählich steigt dort die Beliebtheit dieser Rechtsform. Frankreich belegt inzwischen den zweiten Platz in der EU bei der Zahl der SE-Vereinbarungen. Deutschland steht aber nach wie vor für die Hälfte aller SE-Umwandlungen in ganz Europa (siehe Bericht in den EBR-News 4/2011).
 
Weitere Informationen zur Rechtsform der SE haben wir auf einer Spezialseite zusammengestellt.
 
  8. Erste SCE-Umwandlung in Europa
 
 

Deutscher Fleischverarbeiter wird Europäische Genossenschaft (SCE)

 
Am 21. April 2015 wurde am Sitz von Westfleisch in Münster eine SCE-Beteiligungsvereinbarung unterzeichnet. Es ist eine Premiere für ganz Europa. Seit dem 31. August 2015 firmiert die westfälische Schlachthofgruppe als SCE, als eine Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea). Schon seit 2006 kann diese Rechtsform gewählt werden, bisher machte aber noch kein einziges Unternehmen davon Gebrauch. Ähnlich wie bei der Europäischen Gesellschaft (SE) ist die Umwandlung einer nationalen Genossenschaft in eine SCE nur möglich, wenn die zentrale Leitung ein Besonderes Verhandlungsgremium (BVG) bildet, um eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer zu erzielen. Scheitern diese Verhandlungen, greift eine gesetzliche Auffanglösung wie bei der SE.

 

Bei Westfleisch gehörten dem BVG zehn Delegierte aus Deutschland an, die Mandate der anderen fünf Länder blieben mangels Kandidaten vakant. Im künftigen SCE-Betriebsrat sind nur solche Länder vertreten, die mindestens 250 Arbeitnehmer haben. Daher entfallen alle neun Sitze auf Deutschland, hinzu kommt ein externer Gewerkschaftsvertreter. Sie tagen einmal jährlich, die laufenden Geschäfte führt ein dreiköpfiges Präsidium. Die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte sind mit den Regeln eines SE-Betriebsrats identisch. Der SCE-Betriebsrat hat Anspruch auf Sachverständige, Dolmetscher und Schulungen. Einziges Land mit einer Arbeitnehmervertretung ist Rumänien, in den Niederlassungen von Westfleisch in Litauen, Polen, Ungarn und Schweden ist dies nicht der Fall.

 

Aufsichtsrat auf Dauer ohne paritätische Mitbestimmung

 

Der Aufsichtsrat von Westfleisch hat künftig 13 Mitglieder, darunter fünf Arbeitnehmervertreter (bisher vier von 14). Mitglieder der Genossenschaft sind 4.200 Landwirte. Die Arbeitnehmervertreter werden vom SCE-Betriebsrat nach einer Kandidatenliste des geschäftsführenden Ausschusses im Verhältnis der Belegschaftsgröße der einzelnen Tochtergesellschaften gewählt. Der SCE-Betriebsrat kann diese Kandidatenliste annehmen oder ablehnen (Blockwahl), aber keine Veränderungen daran vornehmen. In Deutschland hat Westfleisch 1.930 Beschäftigte, bei Überschreiten der Grenze von 2.000 wäre ein paritätischer Aufsichtsrat zu bilden. Durch die Umwandlung in eine SCE konnte die zentrale Leitung dies vermeiden - eine Motivation, die auch vielen SE-Umwandlungen zugrunde liegt. Ähnlich wie 2009 bei der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) konnten die Betriebsräte ein Verhandlungsergebnis erzielen, das über die Drittelbeteiligung hinausgeht (siehe Bericht in den EBR-News 1/2010).

  9. Der Blick über Europa hinaus
 
 
Weltweites Netzwerk bei finnischem Verpackungshersteller

Am 1. Juni 2015 gründeten Gewerkschaften aus acht Ländern mit Standorten von Huhtamäki ein weltweites Netzwerk, eine Art Vorläufer zu einem Weltbetriebsrat. Auch die zentrale Leitung nahm an der Sitzung teil und gab eine Präsentation. Dabei kam es zu einem Eklat, als die Situation in den USA angesprochen wurde. Das lokale Management einer Fabrik in Kalifornien hatte sogenannte "Anti Union Consultants" beauftragt, die Gründung einer Arbeitnehmervertretung zu verhindern. Über dieses Thema wollte die zentrale Leitung in Helsinki jedoch nicht diskutieren und verließ die Veranstaltung. Europäische Unternehmen verletzen häufiger die in Europa geltenden Sozialstandards in ihren Standorten in den USA (siehe Bericht in den EBR-News 3/2010).


Weltweite Sozialstandards bei der ABN AMRO Bank

Am 1. September 2015 wurde am Sitz der Bank in Amsterdam ein internationales Rahmenabkommen geschlossen. Es stärkt weltweit den sozialen Dialog mit den Gewerkschaften und fördert ein neues Modell von "sustainable banking". Einmal jährlich wird die Einhaltung des Abkommens von einem Monitoringkomitee aus Gewerkschafts- und Managementvertretern überprüft. Es ist das erste Abkommen seiner Art in der niederländischen Finanzindustrie. Die ABN AMRO Bank befindet sich seit 2010 aufgrund der Finanzkrise im Besitz des niederländischen Staates. Folgende Texte sind nur in englischer Sprache verfügbar:


Afrikanisches Bergbauunternehmen in Paris verurteilt

Am 10. September 2015 verurteilte ein Berufungsgericht in Paris den Manganproduzenten Comilog, Tochtergesellschaft des französischen Bergbauunternehmens Eramet, zu einer Entschädigungszahlung an 600 ehemalige Beschäftigte aus dem Kongo. Sie waren 1992 nach unfallbedingter Sperrung einer Eisenbahnlinie und dem dadurch ausgelösten Produktionsstopp fristlos und ohne Abfindung entlassen worden. Das Urteil ist eine Premiere und eine juristische Sensation nach vielen Jahren gerichtlicher Auseinandersetzungen. Nie zuvor ist ein Unternehmen von einem Gericht in Frankreich für die Personalpolitik in Afrika finanziell haftbar gemacht worden.

 10. Interessante Webseiten
 
 

Europäischer Betriebsrat mit eigener Internetseite

 

Der Europäische Betriebsrat des IT-Unternehmens Econocom mit Sitz in Brüssel wurde 2007 gegründet. In den letzten Jahren hat er eine eigene Internetseite in fünf Sprachen aufgebaut. Dort sind Protokolle der Sitzungen, Berichte über seine Aktivitäten und Seminarmaterialien zu finden. Nach der Umwandlung von Econocom in eine Europäische Gesellschaft (SE) wird der Europäische Betriebsrat sich in einen SE-Betriebsrat umwandeln. Dies war Gegenstand der Sondersitzung des engeren Ausschusses am 21. Juli 2015, auf der die zentrale Leitung ihre Pläne zur SE-Umwandlung erstmals vorlegte. Im Jahr 2009 hatte der EBR ein transnationales Abkommen über die sozialen Folgen einer Verlagerung von Geschäftsaktivitäten nach Marokko geschlossen (siehe Bericht in den EBR-News 2/2009).

Weitere Webseiten von Europäischen Betriebsräten:



Europa in Zahlen

Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden veröffentlicht auf seiner Internetseite regelmäßig aktuelle Statistiken über die Europäische Union und Deutschland im Ländervergleich. So hatte Deutschland im August 2015 die niedrigste Arbeitslosenquote aller EU-Länder, die höchste Quote verzeichneten Griechenland und Spanien. Die Webseite verlinkt auch direkt mit den Länderprofilen des Statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat) in Luxemburg. Dort sind statistische Vergleiche zwischen jeweils zwei EU-Ländern möglich.

 

Stoppt die Briefkastenfirmen
 
Die Europäische Föderation der Bau- und Holzarbeiter in Brüssel fordert die Europäische Kommission auf, Gesetzeslücken zu schließen, damit die Gründung von Scheinfirmen in anderen EU-Ländern zur Vermeidung von Sozialversicherungsabgaben künftig nicht mehr möglich ist. Hierzu hat sie eine Kampagne gestartet und eine eigene Webseite erstellt. Die Frage ist nicht nur für Sozialversicherungsabgaben relevant, sie betrifft auch die Mitbestimmung im Aufsichtsrat (siehe Bericht in den EBR-News 1/2015).


 

Arbeitsrecht in 76 Ländern

 

Die Wage Indicator Foundation betreibt seit 15 Jahren eine Webseite mit Lohnvergleichen. Die gewerkschaftsnahe Einrichtung der Universität Amsterdam analysiert Lohnentwicklung und Tarifpolitik in vielen Ländern, in Deutschland in Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung. Auf der Webseite sind die "Collective Bargaining News" über die Tarifpolitik sämtlicher EU-Länder zu finden. Ebenso gibt es eine Zusammenstellung über die wichtigsten Merkmale des Arbeitsrechts in 76 Ländern weltweit. Die Webseite ist nur in englischer Sprache verfügbar.

Zahlreiche weitere interessante Links haben wir in einer Linksammlung zusammengestellt.

 

 11. Neue Publikationen
 
 
Osteuropäische Gewerkschaften auf EU-Kurs?

 

Im Mai 2015 ist dieser Forschungsbericht erschienen, der die Einbindung der Gewerkschaften aus den sechs größten Beitrittsländern Osteuropas (Bulgarien, Polen, Rumänien, Slowakei, Tschechien und Ungarn) in das System der Brüsseler EU-Politik untersucht. Für sie spielt dort vor allem die Beteiligung in den Gremien des Sozialen Dialogs eine wichtige Rolle (siehe Bericht in den EBR-News 1/2014). Die Autoren beleuchten auch die Rolle osteuropäischer Gewerkschaften in den Europäischen Betriebsräten. Die Gewerkschaften aus den neuen Mitgliedsländern haben in der Regel ein deutlich positives Bild der EU und sehen deren Einfluß auf die nationale Politik zumeist als hilfreich an. Finanziert wurde die Studie von der Hans-Böckler-Stiftung. Der Abschlußbericht liegt nur in englischer Sprache vor.


Kompetenzentwicklung auf der EU-Agenda

Die Ausgabe Juli 2015 der Zeitschrift "Sozialagenda" der Europäischen Kommission beschäftigt sich mit Berufsbildung und der Entwicklung von Kompetenzen von Arbeitnehmern. Mit Geldern aus dem Europäischen Sozialfonds werden beispielsweise Projekte in Portugal und Tschechien gefördert, die die Zeitschrift präsentiert. Derzeit arbeitet die Europäische Kommission an einer neuen Strategie, um die bestehenden Instrumente und Fördergelder zu optimieren. Eckpfeiler dabei sind insbesondere eine Modernisierung der Berufsbildung sowie eine umfassende Entwicklung von Kompetenzen und Qualifikationen. Zu beobachten ist heute bereits: in EU-Ländern mit einem leistungsfähigen Berufsbildungssystem ist die Jugendarbeitslosigkeit niedriger.

 

Globale Wertschöpfungsketten organisieren

 

Im August 2015 legte die Friedrich-Ebert-Stiftung diese Analyse über die Herausforderungen weltumspannender Produktions- und Zuliefernetzwerke auf die Politik von Gewerkschaften vor. Sie enthält eine Definition globaler Wertschöpfungsketten und benennt Beispiele für die wachsende Macht multinationaler Konzerne in neuen Wirtschaftssektoren, darunter den US-Versandhändler Amazon (siehe Bericht in den EBR-News 3/2014). Die Durchsetzung gewerkschaftlicher Forderungen ist dort nur möglich, wenn die gesamte Kette der Wertschöpfung über Ländergrenzen hinweg in den Blick genommen wird. Die Studie benennt auch einige positive Beispiele internationaler Solidarität wie die US-Kampagnen beim schwedischen Möbelhersteller Ikea (siehe Bericht in den EBR-News 2/2011) oder bei der Deutschen Telekom (siehe Bericht in den EBR-News 2/2011).


 

EBR-Fallstudien bei Automobilzulieferern 

 

Im August 2015 wurden die Ergebnisse eines Forschungsprojekts der Ruhr-Universität Bochum veröffentlicht, das sich mit Europäischen Betriebsräten in der Automobilzulieferindustrie beschäftigt. Untersucht wurden dabei fünf Unternehmen, darunter Bosch (siehe Bericht in den EBR-News 2/2010) und Continental (siehe Bericht in den EBR-News 1/2012). Im Mittelpunkt stand die Frage, ob und wie die Europäischen Betriebsräte die Konzernstrategien bezüglich der Verteilung von Produktionsvolumina beeinflussen und dabei die Interessen der Beschäftigten zur Geltung bringen konnten. Die gleiche Forschungsstelle hatte 2010 bereits einen Bericht über Automobilhersteller erarbeitet (siehe Bericht in den EBR-News 1/2010).

Weitere Literatur haben wir in einer Literatursammlung zusammengestellt.

 

  12. Die EWC Academy: Beispiele aus unserer Arbeit


Textilkette bereitet SE-Umwandlung vor
 
Am 28. Juli 2015 führte die EWC Academy am Sitz der Tom Tailor Holding in Hamburg ein Seminar für die deutschen Betriebsräte des Modeunternehmens durch. Dabei wurden die Rahmenbedingungen der geplanten SE-Umwandlung und die Bildung des Besonderen Verhandlungsgremiums (BVG) besprochen.
 
Tom Tailor ist mit über 6.600 Arbeitnehmern in 12 EU-Ländern vertreten, neben Deutschland vor allem in Österreich und den Niederlanden. Da es in Deutschland etwa 5.000 Beschäftigte und damit mehr als die gesetzliche Schwelle von 25% der europäischen Belegschaft gibt, wird über einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat verhandelt. Auch die Bildung eines SE-Betriebsrates wird Gegenstand der Verhandlungen sein. Einen Europäischen Betriebsrat hat Tom Tailor bisher noch nicht.

 
Besuch beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg

Vom 28. September bis 2. Oktober 2015 fand in Luxemburg ein Seminar der EWC Academy zum EU-Arbeitsrecht und dessen Auswirkungen auf das deutsche Arbeitsrecht statt. Im Rahmen eines Besuches beim Europäischen Gerichtshof (auf dem Foto einige der Seminarteilnehmer) wurden seine Aufgaben und Rolle erläutert. Ein weiterer Programmpunkt der Seminarwoche war die Besichtigung der Produktionsstätte von Japan Tobacco in Trier, wo der Co-Vorsitzende des Europäischen Betriebsrats über seine Arbeit berichtete.
 


Kommunikationstraining für französischen Paketdienst

Der Europäische Betriebsrat von GeoPost tagte am 15. und 16. Oktober 2015 in Prag. Auf der Tagesordnung der Delegierten aus neun Ländern stand ein von der EWC Academy organisiertes Kommunikationstraining. GeoPost ist zweitgrößter Paketzusteller in Europa und betreibt als DPDgroup die Paketsparte der staatlichen französischen La Poste. Der EBR wurde im Mai 2008 gegründet (siehe Bericht in den EBR-News 3/2008) und hatte im Jahr 2013 mit der zentralen Leitung eine europäische Sozialcharta ausgehandelt (siehe Bericht in den EBR-News 3/2013).

 
  13. Aktuelle Seminartermine
 

 

Die EWC Academy und ihre Vorläuferorganisation führt seit Januar 2009 Tagungen und Seminare für Mitglieder von Europäischen Betriebsräten, SE-Betriebsräten und Besonderen Verhandlungsgremien durch. Bisher haben daran 625 Arbeitnehmervertreter aus 236 Unternehmen teilgenommen, viele von ihnen auch mehrfach. Das entspricht etwa 19% aller transnationalen Betriebsratsgremien in Europa. Hinzu kommen zahlreiche Inhouse-Veranstaltungen und Gastvorträge bei anderen Veranstaltern.


Juristischer EBR-Workshop (nur noch wenige freie Plätze)
 
Vom 28. bis 30. Oktober 2015 findet ein Seminar zum EBR-Recht im Hotel Hafen Hamburg statt. Themen sind die juristischen Feinheiten einer EBR-Vereinbarung, die bisherige Rechtsprechung zum EBR und die Anwendung der neuen EU-Standards in juristischen Zweifelsfällen.
 

Datenschutz im internationalen Unternehmen
(nur noch wenige freie Plätze)

Die weltweite Vernetzung von IT-Systemen schreitet immer weiter voran, Beschäftigtendaten werden international und konzernweit verarbeitet. Welche Möglichkeiten hat der Betriebsrat, die Übermittlung von Daten innerhalb des Konzerns zu kontrollieren oder einzuschränken? In Hamburg wird dies vom 28. bis 30. Oktober 2015 in einem Seminar behandelt.

 

8. Hamburger Fachtagung für Europäische und SE-Betriebsräte
 
Wie jedes Jahr im Januar findet wieder eine zweitägige Fachtagung in Hamburg statt. Die Themen:

Montag, 25. Januar 2016: Aktuelle Trends in der EBR-Landschaft - juristische Probleme und Beispiele von EBR-Aktivitäten

Dienstag, 26. Januar 2015: Kurzseminar zum EU-Arbeitsrecht oder alternativ: Kurzseminar zum Konsultationsverfahren im EBR


EBR-Seminare auf Schloß Montabaur (auch für SE-Betriebsräte geeignet)
 
Vom 29. März bis 1. April 2016 findet unser jährliches Seminar in Montabaur statt (auf halbem Weg zwischen Frankfurt und Köln, Nähe ICE-Bahnhof). Folgende Seminarthemen werden parallel angeboten:
  • EBR-Schnuppertage (für Einsteiger)
Grundlagenwissen zum Europäischen Betriebsrat und zur Betriebsverfassung in anderen Ländern. Besonders geeignet für neugewählte EBR-Mitglieder oder wenn im Unternehmen bisher noch kein EBR gegründet wurde.
  • „Kinoveranstaltung“ oder vollwertiger Europäischer Betriebsrat?
Die Merkmale eines korrekten Konsultationsverfahrens bei Restrukturierungen. Besonders geeignet für EBR-Mitglieder, die ihre Arbeit proaktiver gestalten wollen.


Sprachkurse: Business-Englisch für Betriebsräte
Das genaue Programm kann bei uns angefordert werden.
 


Inhouse-Veranstaltungen

 

Eine Übersicht über mögliche Themen für Inhouse-Veranstaltungen finden Sie hier:

  14. Impressum
 

Die EBR-News werden herausgegeben von:

 

EWC Academy GmbH

Rödingsmarkt 52, D-20459 Hamburg
www.ewc-academy.eu

 

Mitarbeiter/innen dieser Ausgabe:

Werner Altmeyer, Katharina Barrie, Rita da Luz

 

Verteiler der deutschsprachigen Ausgabe: 20.188 Empfänger

Verteiler der englischsprachigen Ausgabe: 3.435 Empfänger

Verteiler der französischsprachigen Ausgabe: 3.354 Empfänger

 

Newsletter-Archiv: www.ebr-news.de

 

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