Nr. 1/2020
31. März 2020    
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Willkommen zur Ausgabe Nr. 1 / 2020 der EBR-News  

Inhalt

  1. Die Corona-Krise verändert die Sitzungskultur
  2. EBR-Studie zeigt gravierende Schwächen
  3. Rechtsprechung zu EBR-Fragen in Deutschland
  4. Jüngste Gerichtsentscheidungen in England
  5. Berichte aus weiteren Ländern
  6. US-Unternehmen nach der Umstrukturierung
  7. Gründung von Europäischen Betriebsräten
  8. Neue SE-Umwandlungen
  9. Transnationale Meilensteine
10. Interessante Webseiten
11. Neue Publikationen
12. Die EWC Academy: Beispiele aus unserer Arbeit
13. Aktuelle Seminartermine
14. Impressum

 

  1. Die Corona-Krise verändert die Sitzungskultur

EU-Institutionen arbeiten virtuell

 

Wie die EU funktionsfähig bleibt und in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen, ohne dass sich Beamte im selben Raum befinden, hat eine neue Dringlichkeit erhalten. Das reguläre Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs fand am 26. März 2020 als Videokonferenz statt. Mitglieder des Europäischen Parlaments drängen darauf, ein virtuelles Plenum zu ermöglichen und durch elektronische "Token" die Identität der Abgeordneten bei Abstimmungen zu überprüfen. Mit spezifischer Software könnten Änderungsanträge elektronisch eingereicht werden.

 

Es sieht zunehmend so aus, als würde die Situation nie wieder so werden, wie sie vor Ausbruch der Corona-Krise war: wenn ein Unternehmen die ganze Belegschaft ins Homeoffice schickt, fragen sich die Angestellten, warum sie früher überhaupt jeden Tag ins Büro fahren mussten. Auch Sitzungen und Seminare werden abgesagt oder auf Videokonferenz umgestellt, von Reiseeinschränkungen besonders betroffen sind Europäische Betriebsräte. Sind Videokonferenzen für Betriebsräte überhaupt zulässig? Weder der europäische Gesetzgeber noch die Rechtsprechung liefert dazu eine klare Antwort (siehe Bericht in den EBR-News 2/2017).

 

Notfall-Leitfaden der europäischen Gewerkschaften

 

Am 27. März 2020 legten die Gewerkschaftsföderationen in Brüssel Empfehlungen für Europäische Betriebsräte und SE-Betriebsräte vor. Da unter den gegenwärtigen Umständen physische Besprechungen verboten sind, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, können als Ersatz unter bestimmten Bedingungen Online-Treffen stattfinden. Sie sollten klaren Regeln folgen, die schriftlich mit der zentralen Leitung zu vereinbaren sind. Der Leitfaden enthält dazu eine Vorlage. Wichtig ist, dass sich der Ersatz von Sitzungen durch virtuelle Treffen auf die Krisenperiode beschränkt. Videokonferenzen sind kein Ersatz für echte persönliche Treffen. Auch darf die Corona-Krise nicht als Ausrede dienen, um ordentliche Plenarsitzungen im Jahr 2020 abzusagen. Während der Krise muss es den Mitgliedern des engeren Ausschusses möglich sein, untereinander und mit anderen Delegierten Videokonferenzen mit Dolmetschern durchzuführen.

 

Download der Empfehlungen

 

Deutscher Arbeitsminister ruft zu virtuellen Betriebsratssitzungen auf

 

Am 20. März 2020 gab Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine Ministererklärung ab, die das Thema von Videokonferenzen auch nach der Corona-Krise nachhaltig prägen wird und einen kompletten Bruch mit der bisherigen Rechtsauffassung in Deutschland darstellt. "Wir sind daher der Meinung, dass in der aktuellen Lage ... die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- oder Telefonkonferenz einschließlich online gestützter Anwendungen ... zulässig ist. Dies gilt sowohl für die Zuschaltung einzelner Betriebsratsmitglieder als auch eine virtuelle Betriebsratssitzung. Die Beschlüsse, die in einer solchen Sitzung gefasst werden, sind nach unserer Auffassung wirksam."

 

Download der Ministererklärung

Rechtliche Fragen zur Betriebsratsarbeit in der Corona-Krise

Kritische Stellungnahme der Gewerkschaft ver.di

Ratgeber der Gewerkschaft ver.di zur Mitbestimmung in der Corona-Krise

 

Wie kann ein solcher Dammbruch jemals wieder rückgängig gemacht werden? Bei den Europäischen Betriebsräten ist dies heute bereits Thema von Gerichtsverfahren. Es gibt immer mehr Arbeitgeber, die ein Zusammentreffen der Arbeitnehmervertreter mehrerer Länder im gleichen Sitzungsraum verhindern wollen, um "den Laden ruhig zu halten" (siehe Bericht in den EBR-News 1/2019). Wer entscheidet am Ende über die Angemessenheit einer virtuellen Sitzung: der Arbeitgeber oder der Betriebsrat? Viele Experten raten in bestimmten Situationen ausdrücklich ab, Präsenzsitzungen durch Videokonferenzen zu ersetzen. Dazu gehören schwierige oder unangenehme Themen mit einer besonderen Tragweite (Umstrukturierungen, Massenentlassungen), oder auch ganztägige Videokonferenzen, da diese sehr anstrengend für die Teilnehmer sein können. Eine besonders große Herausforderung für den EBR sind Videokonferenzen mit Dolmetschern.

  2. EBR-Studie zeigt gravierende Schwächen

Viele Europäische Betriebsräte werden im Dunkeln gelassen

 

Am 13. Januar 2020 legte das Europäische Gewerkschaftsinstitut (ETUI) in Brüssel erste Ergebnisse der Befragung von 1.635 Delegierten aus 365 Europäischen und SE-Betriebsräten vor. Die Untersuchung im Jahr 2018 war die größte, die jemals durchgeführt wurde und eine Publikation mit den Gesamtergebnissen ist noch in Arbeit. Unter dem provokanten Titel "Hört uns jemand?" sind vorab die wichtigsten Schwachpunkte der EBR-Arbeit graphisch und statistisch aufbereitet worden.

 

Auch 25 Jahre nach Verabschiedung der ersten EBR-Richtlinie erhält nur eine Minderheit aller EBR-Mitglieder detaillierte Informationen über Umstrukturierungsmaßnahmen. Etwa die Hälfte profitiert von einer zusätzlichen Sitzung zur Erörterung des Themas, aber diese außerordentlichen Sitzungen finden in der Regel erst nach der endgültigen Entscheidung statt, so dass sie fast nutzlos sind. Nur 21% aller Befragten wurden vor der endgültigen Entscheidung der zentralen Leitung unterricht und angehört. Der Anteil steigt auf 36%, wenn man nur die EBR-Gremien mit drei oder mehr regulären Sitzungen pro Jahr betrachtet. Nur 27% aller Befragten haben Zugang zu betriebswirtschaftlichen Sachverständigen zur Bewältigung von Restrukturierungen. Meist handelt es sich dabei um französische Unternehmen, wo die lokalen Betriebsräte traditionell sehr weitreichend durch Wirtschaftsprüfer unterstützt werden.

 

Unterrichtung ja, Anhörung nein

 

Selbst wenn eine Unterrichtung erfolgt, ist nicht sichergestellt, dass die Informationen aussagekräftig sind. Häufig beschränkt sich die zentrale Leitung auf wenige PowerPoint-Charts. Mehr als die Hälfte der Befragten meint, dass die gelieferten Informationen über Betriebsschließungen und Personalabbau sowie im Arbeits- und Gesundheitsschutz zu oberflächlich waren. Bei anderen Themen sagen sogar 70 bis 80% der EBR-Mitglieder, dass die Informationen nicht nützlich waren. Die meisten sehen sich daher nicht in der Lage, Unternehmensentscheidungen zu beeinflussen. 16% aller Befragten hatten in den letzten drei Jahren einen ernsthaften Streit mit der Unternehmensleitung über die Funktionsweise des EBR. Davon waren 80% nicht bereit oder in der Lage, ein Gerichtsverfahren zu beginnen. Eines der Probleme ist die Unsicherheit über die Finanzierung von Rechtsanwälten in Ländern, in denen es dazu keine gesetzliche Regelung bzw. kein Betriebsratsbudget gibt.

 

Schulungen noch immer nicht selbstverständlich

 

Obwohl die neue Richtlinie ausdrücklich einen Schulungsanspruch eingeführt hat, sagen immer noch 38% aller Befragten, dass sie keine Schulung bekommen haben. Knapp die Hälfte aller Europäischen Betriebsräte hat pro Jahr nur eine einzige Plenarsitzung, 41% haben zwei und 11% drei oder mehr Plenarsitzungen. In 88% aller Unternehmen gibt es einen Lenkungsausschuss, der sich meist zwei bis viermal pro Jahr trifft. Die SE-Betriebsräte haben signifikant mehr Plenarsitzungen und bekommen mehr Schulungen als die "normalen" Europäischen Betriebsräte.

 

Beratung durch Gewerkschaftssekretäre rückläufig

 

Nach den Richtlinien der europäischen Gewerkschaften soll jeder Europäische Betriebsrat durch einen externen Koordinator unterstützt werden, also einen hauptamtlichen Gewerkschaftssekretär. Dieses selbstgesteckte Ziel wird jedoch immer weniger erreicht. Laut der Studie haben nur noch 59% aller Europäischen Betriebsräte einen externen Koordinator (in früheren Studien lag die Zahl weit höher), die übrigen haben entweder gar keine Beratung oder suchen sich ihre Berater selbst. Einige davon lassen sich z. B. von der EWC Academy juristisch und betriebswirtschaftlich beraten.

 

Die Publikation zum Download

Die europäische Gewerkschaftskampagne "Mehr Demokratie am Arbeitsplatz"

  3. Rechtsprechung zu EBR-Fragen in Deutschland

Bei mangelhafter Unterrichtung hat der EBR ein Vorprüfungsrecht

 

Das Arbeitsgericht Essen wies kürzlich Anträge des Europäischen Betriebsrats des US-Automobilzulieferers Dana auf einstweilige Verfügung ab, traf jedoch in der Urteilsbegründung in Bezug auf das EBR-Recht bedeutende Feststellungen. Bisher ist es in Deutschland weitgehend unmöglich, Rechte eines EBR vor Gericht durchzusetzen (siehe Bericht in den EBR-News 1/2019).

 

Die Verfahren bei Dana begannen im September 2019 (siehe Bericht in den EBR-News 3/2019). Das Gericht prüfte nur die Eilbedürftigkeit, um über den vorläufigen Stopp von Maßnahmen zu entscheiden. Das erste Verfahren bezog sich auf einen Umbau der Kunststoffsparte, der vor allem die Belegschaft in Ungarn negativ betrifft. Durch das Gerichtsverfahren war die zentrale Leitung gezwungen, Unterlagen über ihre Pläne in Ungarn vorzulegen, die sie dem EBR vorher nicht zugänglich machen wollte. In ihrer Entscheidung vom 4. Oktober 2019 billigte das Gericht dem EBR ein Vorprüfungsrecht zu, um seine Zuständigkeit genauer prüfen zu können, wenn die zentrale Leitung Informationen verweigert. Erstmals sprach ein deutsches Arbeitsgericht ausdrücklich von der Möglichkeit eines Unterlassungsanspruchs, wenn ein Arbeitgeber seine Konsultationspflichten verletzt. Im konkreten Fall sah das Gericht jedoch keinen länderübergreifenden Sachverhalt, bei dem zwei Länder gleichzeitig betroffen sind, weil die Maßnahmen in Deutschland bereits abgeschlossen waren und in Ungarn noch nicht begonnen hatten.

 

Konsultation bei einer Umstrukturierung in mehreren Phasen

 

Im zweiten Verfahren ging es um die Verlagerung der Finanzbuchhaltung in ein neues Shared Service Center in Litauen mit Personalabbau in Westeuropa. Diese Umstrukturierung begann zunächst mit einer kleinen Pilotphase, der weitere Phasen folgen sollen. Das Gericht urteilte am 14. Januar 2020, dass bei einer Umstrukturierung in drei Phasen das Anhörungsrecht des EBR nur einmal vor Beginn der Phase 1 ausgeübt werden kann. Ein späterer Anspruch ist damit erloschen.

 

Das dritte Verfahren bezog sich auf Microsoft MyAnalytics als Beispiel für zahlreiche Softwaretools, die von der US-Zentrale ständig neu eingeführt werden und von denen die Arbeitnehmervertreter erst im Nachgang Kenntnis erhalten. Das Gericht urteilte am 30. Januar 2020, dass mögliche Nachteile für die Belegschaft in einem normalen Gerichtsverfahren geltend gemacht werden könnten und dieses Thema kein Eilverfahren rechtfertigt. Der EBR von Dana arbeitet nach deutschem Recht und hat seine EBR-Vereinbarung zuletzt 2014 aktualisiert (siehe Bericht in den EBR-News 4/2014). Seither werden die Delegierten von der EWC Academy juristisch und betriebswirtschaftlich beraten.

 



Deutsche Tochtergesellschaft haftet als Gesamtschuldner

 

Am 8. Januar 2020 entschied das Arbeitsgericht in Oldenburg über die Reisekosten eines deutschen Delegierten im EBR von Mayr-Melnhof Packaging. Die zentrale Leitung des österreichischen Unternehmens hatte im April 2019 erklärt, künftig nur noch Plenarsitzungen und keine Sitzungen des engeren Ausschusses mehr zu finanzieren. Der EBR-Vertreter aus dem Werk Delmenhorst bat daher seine Geschäftsleitung vor Ort, die Reisekosten zur Sitzung des engeren Ausschusses im Mai 2019 in Wien zu erstatten.

 

Als die Werksleitung dies ablehnte, kam es zum Gerichtsverfahren. Im deutschen EBR-Gesetz ist in § 16 Abs. 2 in Verbindung mit § 39 Abs. 1 vorgesehen, dass neben der zentralen Leitung im Ausland auch ein deutscher Arbeitgeber als Gesamtschuldner haftet. Daher verpflichtete das Arbeitsgericht Oldenburg die deutsche Tochtergesellschaft, die Reisekosten zu erstatten. Das Urteil ist rechtskräftig. Es ist das erste Urteil in Deutschland, das jemals zu dieser Frage ergangen ist, ein zweites Verfahren läuft derzeit vor dem Arbeitsgericht Trier. Über die Grundsatzfrage gibt es auch ein Gerichtsverfahren in Österreich (siehe Bericht in den EBR-News 3/2019). Beraten wird der EBR von der EWC Academy.

 

Bericht der Gewerkschaft ver.di

  4. Jüngste Gerichtsentscheidungen in England

Britisches Unternehmen verstößt wiederholt gegen EBR-Recht

 

Am 11. Dezember 2019 entschied das Central Arbitration Committee (CAC) in London, die erste Instanz im britischen EBR-Recht, über eine Klage des Europäischen Betriebsrates von Vesuvius. Der Konzern mit Sitz in London ist ein Hersteller von Feuerfestmaterialien für die Stahlindustrie mit weltweit 10.800 Beschäftigten, davon ein Drittel in den 17 europäischen Standorten. Der EBR wurde 2012 unter dem damaligen Firmennamen Cookson Group gegründet (siehe Bericht in den EBR-News 1/2013) und war mehrfach mit Standortschließungen konfrontiert. Die zentrale Leitung und der EBR hatten immer wieder Konflikte über den Umfang des Unterrichtungsanspruchs.

 

Zu dem Rechtsstreit kam es, als Vesuvius den EBR am 16. Juli 2018 in einer Sondersitzung über die Schließung von Produktionsstätten in Spanien, Polen und im Vereinigten Königreich lediglich mit einer Slideshow-Präsentation unterrichtete. Weitere Unterlagen wurden ihm verwehrt. Der EBR konnte somit weder die betriebswirtschaftliche Begründung der Schließungen nachvollziehen noch hatte er Klarheit über die finanzielle Unterstützung, die gekündigten Arbeitnehmern angeboten wird. Die Konzernleitung in London wollte vor allem die Höhe der Rückstellung für mögliche Entlassungskosten geheimhalten. Wäre dies offengelegt worden, hätten Arbeitnehmervertreter der betroffenen Länder höhere Budgets für Sozialpläne verlangen können, so die Befürchtung des Managements. Das CAC widersprach diesem "Teile und herrsche"-Prinzip und stellte fest, dass die zentrale Leitung die EBR-Vereinbarung verletzt hat. Laut Urteilsbegründung hat der EBR sogar einen Anspruch auf weitergehendere Informationen als der Verwaltungsrat des Unternehmens. Sanktionen wurden vom CAC allerdings nicht verhängt.

 

Auf die Einleitung des Gerichtsverfahrens hatte die zentrale Leitung am 26. März 2019 mit Kündigung der EBR-Vereinbarung reagiert. Der EBR von Vesuvius soll in Zukunft nach polnischem Recht arbeiten. Am 7. Oktober 2019 brach die zentrale Leitung die Verhandlungen über eine neue EBR-Vereinbarung sogar ab, da es zu einer weiteren Meinungsverschiedenheit kam (siehe unten). Dies könnte zu einem neuen EBR "kraft Gesetz" führen, vergleichbar der Situation im österreichischen Unternehmen Mayr-Melnhof Packaging (siehe Bericht in den EBR-News 3/2016).

 

Das zweite Gerichtsverfahren bei Vesuvius

 

Am 5. September 2019 wurde in Spanien die Schließung von zwei Standorten mit 130 Beschäftigten bekanntgegeben. Die zentrale Leitung informierte den EBR hierüber nicht, weil es angeblich nur eine lokale Angelegenheit in Spanien sei. Der EBR konnte jedoch nachweisen, dass die Produktion nach Polen und Tschechien verlagert wird. Bereits am 17. Mai 2019 war im polnischen Werk Skawina (bei Krakau) eine Sieben-Tage-Woche eingeführt und anschließend Personal aufgestockt worden. In einer Investorenkonferenz hatte der Vorstandsvorsitzende zudem auf diese Verlagerungen hingewiesen. Das CAC entschied am 21. Januar 2020, dass Vesuvius auch in diesem Fall gegen die EBR-Vereinbarung verstoßen hat. Sanktionen wurden auch hier nicht verhängt.

 

Das Urteil Nr. 1 im Wortlaut

Das Urteil Nr. 2 im Wortlaut

 



EBR verliert Rechtsstreit gegen US-Telekommunikationskonzern

 

Am 20. Dezember 2019 entschied das Central Arbitration Committee (CAC), dass die zentrale Leitung von Verizon nach vier Monaten und mehreren Sitzungen ein Konsultationsverfahren einseitig für beendet erklären kann. Es ging in dem Fall um Grundsatzfragen, die sich in jedem EBR stellen: wie umfangreich muss das betriebswirtschaftliche Reporting sein, wie lange dauert ein Konsultationsverfahren und was geschieht bei einer fehlenden Stellungnahme. Der französische EBR-Vorsitzende von Verizon konnte sich in London mit seiner Sichtweise einer "Konsultation à la française" (siehe Bericht in den EBR-News 3/2011) nicht durchsetzen.

 

Der geschäftsführende Ausschuss des EBR von Verizon wurde in seiner monatlichen Sitzung am 13. Dezember 2018 über die geplante Zentralisierung der Buchhaltungs- und Finanzabteilungen aus 16 Ländern am englischen Hauptsitz in Reading (bei London) informiert. Am 16. Januar 2019 übergab der EBR einen Fragenkatalog mit 38 Fragen, die von der zentralen Leitung am 30. Januar 2019 schriftlich beantwortet wurden. Am 14. Februar 2019 fand eine außerordentliche EBR-Plenarsitzung statt und am 10. April 2019 eine weitere, die sich speziell diesem Projekt widmete. Der EBR sah sich jedoch nicht in der Lage, eine Stellungnahme zu beschließen, weil ihm entscheidende Informationen fehlten (siehe Anhang 2 ab Seite 38 des Urteils). Die zentrale Leitung ihrerseits erklärte die Konsultation einseitig für abgeschlossen, was den Rechtsstreit auslöste. Das CAC entschied zugunsten des Arbeitgebers.

 

Das Urteil im Wortlaut

 

Im Oktober 2019 hatte der EBR von Verizon einen anderen Rechtsstreit vor dem CAC noch gewonnen (siehe Bericht in den EBR-News 4/2019) und seit dem 12. Februar 2020 läuft die dritte Klage.

 



Geplante Werksschließung ohne Konsultation und Streit um Anwaltskosten

 

Am 17. Januar 2020 entschied das Central Arbitration Committee (CAC) nach einer mündlichen Verhandlung in Manchester, dass die Princes Group gegen EBR-Recht verstoßen hat. Der Hersteller von Nahrungsmitteln und Getränken mit Hauptsitz in Liverpool hat 7.000 Beschäftigte, die meisten davon in zehn britischen Werken, und gehört zum japanischen Mitsubishi-Konzern. Der EBR wurde erst im Oktober 2017 gegründet und arbeitet auf Basis einer EBR-Vereinbarung, die weit über das gesetzliche Minimum hinausreicht (siehe Bericht in den EBR-News 1/2018).

 

Bei dem Rechtsstreit ging es um eine geplante Produktionsverlagerung, über die der EBR unterrichtet, aber nicht angehört wurde. Am 9. Oktober 2018 informierte die zentrale Leitung den EBR schriftlich über die geplante Schließung des südenglischen Werkes Chichester und die Verlagerung von 25% der Produktionskapazität nach Foggia (Italien). Sie betrachtete dies jedoch nicht als länderübergreifende Angelegenheit in der Zuständigkeit des EBR, weil nur die Arbeitnehmer in England negativ betroffen seien. Folglich weigerte sie sich, eine außerordentliche EBR-Sitzung einzuberufen. Das CAC schloß sich dieser Interpretation nicht an und stellte einen Verstoß gegen die EBR-Vereinbarung fest. Keinen Einfluss auf das Urteil hatte die Tatsache, dass im Juli 2019 ein Käufer gefunden wurde, der das Werk weiterführt und nun doch keine Produktion nach Italien verlagert wird.

 

Ein weiterer Streitpunkt waren die Kosten des Rechtsanwalts, der die Klage beim CAC einreichte. Die zentrale Leitung wollte dessen Kosten nicht tragen, weil die Rechtsabteilung der Gewerkschaft Unite den EBR vorher schon in der gleichen Frage beraten hatte. Da es beim CAC keinen Anwaltszwang gibt, musste entschieden werden, ob ein Anwalt "erforderlich" ist und ob die zentrale Leitung den EBR auf eine kostenlose Rechtsberatung der Gewerkschaft verweisen darf. Nach Meinung des CAC kann der EBR ganz alleine entscheiden, welche Sachverständige er beauftragt und ob diese mit oder ohne Honorar arbeiten. Innerhalb von 21 Tagen muss die zentrale Leitung daher Anwaltskosten in Höhe von knapp 15.000 £ zahlen. Eine ähnliche Entscheidung hatte das CAC bereits im Oktober 2019 im Fall Verizon getroffen (siehe Bericht in den EBR-News 4/2019).

 

Das Urteil im Wortlaut

  5. Berichte aus weiteren Ländern

Rot-rote Koalition in Spanien

 

Seit dem 13. Januar 2020 hat Spanien eine kommunistische Arbeitsministerin. Zum ersten Mal seit Ende des Spanischen Bürgerkrieges 1939 gehören Kommunisten der Regierung an. Yolanda Díaz Pérez (Foto), Anwältin für Arbeitsrecht, ist seit 2016 Parlamentsabgeordnete für die Kommunistische Partei Galiziens, die mit weiteren linken und grünen Parteien das Wahlbündnis Unidos Podemos bildet. Sie stammt aus einer Familie bekannter Gewerkschafter, die im Untergrund gegen die Franco-Diktatur kämpften. Ihr Vater war Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes CC.OO. in Galizien.

 

Das Hauptziel ihrer Arbeit sieht sie im Kampf gegen prekäre Arbeitsverhältnisse. Vor allem will sie die Arbeitsmarktreform von 2012 aufheben, die als Folge der Austeriätspolitik nach der Finanzmarktkrise in Kraft trat. Eine ihrer ersten Amtshandlungen war die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes um 5,5% auf 1.108 € im Monat. Mehr als zwei Millionen Menschen sind davon betroffen. Ihre Vorgängerin im Arbeitsministerium kam von der sozialdemokratischen PSOE und stand dem Gewerkschaftsbund UGT nahe (siehe Bericht in den EBR-News 3/2018).

 

Pressebericht über die Regierungspläne

 

Die Koalition zwischen Sozialdemokraten und dem linken Wahlbündnis Podemos hat keine Mehrheit und braucht die Unterstützung von Regionalparteien. Das Bündnis war nur möglich, nachdem am 10. November 2019 die dritte Parlamentswahl innerhalb von sieben Monaten starke Zuwächse für rechte Parteien brachte. Während sich die Gewerkschaftsbünde UGT und CC.OO. daraufhin vehement für das Zustandekommen der Koalition eingesetzt hatten, sprachen sich der Unternehmerverband CEOE und die katholische Amtskirche Spaniens gegen die neue Regierung aus. Die Konfliktlinien sind damit die gleichen wie im Spanischen Bürgerkrieg. Die Minderheitsregierung verbuchte am 27. Februar 2020 ihren ersten großen politischen Erfolg, als das Parlament die Ausgabenobergrenze genehmigte, eine Vorstufe zur Verabschiedung des neuen Haushalts für die vierjährige Legislaturperiode.

 

Sozialdemokratischer Kommentar zur Regierungsbildung

Bewertung der Wahlen und Regierungsbildung aus konservativer Sicht

Bericht über die Genehmigung der Ausgabenobergrenze

 



Italien verstößt gegen die Europäische Sozialcharta

 

Am 11. Februar 2020 wurde in Straßburg die Entscheidung des Sozialrechtsausschusses des Europarates über eine Klage des italienischen Gewerkschaftsbundes CGIL bekanntgegeben. Der im März 2015 in Kraft getretene Jobs Act verstößt gegen Artikel 24 der Europäischen Sozialcharta, der das Recht auf Schutz bei Kündigung und eine angemessene Entschädigung vorsieht. Der Europarat ist kein Organ der EU. Ihm gehören 47 Länder an, zu denen Russland, die Türkei, die Schweiz sowie das Vereinigte Königreich zählen.

 

Kern des Jobs Act war eine Lockerung des Kündigungsschutzes, die Unternehmen animieren sollte, mehr Menschen einzustellen. Italien erlebte damals die schwerste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die sozialdemokratische Regierung von Matteo Renzi wurde von den Gewerkschaften heftig kritisiert und im Dezember 2014 gab es einen Generalstreik gegen den Jobs Act. Im Jahr 1970 hatten die Gewerkschaften erkämpft, dass Arbeitnehmer vor ungerechtfertigten Entlassungen geschützt sind und in Betrieben ab 15 Beschäftigten ein garantiertes Recht auf Rückkehr an den Arbeitsplatz haben. Diese Regelung beseitigte der Jobs Act und legte gleichzeitig eine Obergrenze für Abfindungen fest: zwei Monatsgehälter für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit.

 

Dieses Thema wird bald auch den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg beschäftigen. Er wurde im September 2019 vom Landgericht Mailand angerufen. Auch das Appellationsgericht Neapel legte Teile des Jobs Act im November 2019 dem Europäischen Gerichtshof vor. Im Juli 2018 machte das "Dekret der Würde" erstmals einen Teil des Jobs Act rückgängig (siehe Bericht in den EBR-News 3/2018).

 

Pressemitteilung des Europarates

Die Entscheidung im Wortlaut

 



Französischer Gerichtshof kippt gesetzliche Konsultationsfristen

 

Am 26. Februar 2020 entschied in Paris die Sozialkammer des Kassationshofes (vergleichbar mit dem Bundesarbeitsgericht in Deutschland), dass die Frist zur Konsultation des Betriebsrates auch rückwirkend noch verlängert werden kann. In Frankreich können Arbeitgeber erst nach beendeten Konsultationsverfahren Entlassungen vornehmen, die vor Gericht Bestand haben. Mit dem neuen Urteil sind die gesetzlichen Fristen praktisch kaum noch anwendbar und die Rolle des Betriebsrates ist gestärkt.

 

Geklagt hatte der französische Gesamtbetriebsrat des Stromkonzerns Electricité de France (EdF), der am 2. Mai 2016 über den geplanten Neubau von zwei Kernkraftwerken in England informiert wurde. Er benannte zwei Sachverständige zur Prüfung des Projekts und verlangte weitere Unterlagen, die der Arbeitgeber jedoch nicht lieferte. Daher beantragte er am 20. Juni 2016 beim Landgericht Paris eine einstweilige Verfügung, um das Konsultationsverfahren vorläufig auszusetzen. Das Gericht erklärte den Antrag am 27. Oktober 2016 für unzulässig, weil die gesetzliche Konsultationsfrist bereits Anfang Juli 2016 abgelaufen war und das gesamte Verfahren damit automatisch als beendet gilt.

 

Wie im Fall des US-Unternehmens Markem-Imaje (siehe Bericht in den EBR-News 3/2017) arbeitete die Justiz so langsam, dass innerhalb der gesetzlichen Konsultationsfrist kein Gerichtsurteil erging. Der Gesamtbetriebsrat von EdF wollte dies jedoch nicht hinnehmen und hatte beim Berufungsgericht am 7. September 2018 Erfolg. EdF musste zusätzliche Informationen vorlegen und innerhalb von zwei Monaten den Gesamtbetriebsrat einberufen, damit er seine Stellungnahme abgeben kann (Hinweis: der Betriebsratsvorsitz liegt in Frankreich beim Arbeitgeber). Der Kassationshof bestätigte das Urteil.

 

Zeitplan für Umstrukturierungen für den Arbeitgeber nicht mehr kalkulierbar

 

Will ein französischer Betriebsrat bei drohenden Entlassungen künftig "die Uhr anhalten", muss er die Klage nur noch rechtzeitig vor Ablauf der gesetzlichen Konsultationsfrist einreichen. Arbeitet die Justiz dann langsam, muss der Arbeitgeber mit der Umsetzung von Maßnahmen warten. Die gesetzlichen Konsultationsfristen wurden im Januar 2014 von der sozialistischen Regierung unter François Hollande eingeführt. Unternehmen sollten in Krisenzeiten schneller entlassen können und die Betriebsräte dies nicht mehr verzögern (siehe Bericht in den EBR-News 1/2014).

 

Der Kassationshof hat nur über französische Betriebsräte geurteilt. Für Europäische Betriebsräte, die nach französischem Recht arbeiten, hat es noch nie exakte Konsultationsfristen gegeben. Doch auch sie können von dem Urteil profitieren, nämlich beim Umfang des betriebswirtschaftlichen Reportings.

 

Das Urteil im Wortlaut

  6. US-Unternehmen nach der Umstrukturierung

Harte Verhandlungen mit einer Rekordzahl an BVG-Sitzungen

 

Am 25. November 2019 wurde in Paris in der letzten Sitzung des Besonderen Verhandlungsgremiums (BVG) vor dem Auslaufen der dreijährigen Verhandlungsfrist doch noch eine EBR-Vereinbarung für Coca-Cola European Partners (CCEP) unterzeichnet. In letzter Minute kam es zu einem Durchbruch, obwohl die zentrale Leitung die Verhandlungen im Mai 2019 schon für gescheitert erklärt hatte (siehe Bericht in den EBR-News 3/2019). Es waren 16 Sitzungen des BVG hierfür erforderlich, statistisch also jeden zweiten Monat eine. Solche Sitzungen erstrecken sich inklusive Vor- und Nachbesprechung meist über drei Tage.

 

Die Vereinbarung unterliegt derzeit noch britischem Recht, solange das Vereinigte Königreich rechtlich zum Europäischen Wirtschaftsraum gehört (siehe Bericht in den EBR-News 4/2019). Danach wird für CCEP belgisches Recht gelten. Die bisherigen Europäischen Betriebsräte für Coca-Cola Enterprises und Coca-Cola Iberian Partners sind aufgelöst, da ihre Belegschaften durch den neuen EBR vertreten werden. Er hat 32 Mitglieder für 23.700 Arbeitnehmer in zwölf Ländern, davon 7.700 in Deutschland, das als größtes Land fünf Sitze erhält. Das Vereinigte Königreich mit 3.600 Arbeitnehmern und vier Delegierten bleibt dauerhaft im EBR dabei. Alle sechs Monate findet eine Plenarsitzung unter Vorsitz des Managements statt. Die Arbeitnehmervertreter wählen sechs Mitglieder in den geschäftsführenden Ausschuss, der dreimal pro Jahr mit der zentralen Leitung zusammenkommt.

 

Videokonferenzen nur bei kleinen Umstrukturierungen möglich

 

Die Unterrichtung und Anhörung bei außergewöhnlichen Umständen wurde sehr präzise geregelt. Sind weniger als 100 Arbeitnehmer in mindestens zwei Ländern von einer Umstrukturierung betroffen, findet eine Sondersitzung des engeren Ausschusses und der Delegierten aus den betroffenen Ländern statt, eventuell auch als Videokonferenz. Die Stellungnahme des EBR muss spätestens am darauffolgenden Tag abgegeben werden. Sind 100 bis 300 Arbeitnehmer betroffen, gibt es zwei Präsenzsitzungen im kleinen Kreis und das Konsultationsverfahren ist spätestens nach sechs Wochen beendet. Sind mehr als 300 Arbeitnehmer betroffen, gibt es drei Sondersitzungen (face to face), davon eine Plenarsitzung. Das Konsultationsverfahren dauert in diesem Fall höchstens acht Wochen.

 

Der EBR hat Anspruch auf einen permanenten bezahlten Sachverständigen und einen hauptamtlichen Gewerkschaftssekretär des europäischen Verbandes EFFAT sowie auf einen Schulungstag pro Jahr. Bei Meinungsverschiedenheiten wird eine paritätische Schlichtungsstelle mit unabhängigem Schlichter gebildet, die innerhalb von fünf Wochen eine bindende Entscheidung trifft. Möchte der EBR danach vor Gericht ziehen, zahlt die zentrale Leitung keine Anwaltskosten. Der EBR kann aber den permanenten Sachverständigen von seinem Mandat entbinden und stattdessen vorübergehend einen Rechtsanwalt mit der Vertretung vor Gericht beauftragen. Dies entspricht der Grundphilosophie der EBR-Richtlinie, wonach nur ein einziger Sachverständiger gleichzeitig bezahlt werden muss. Es bleibt die Frage offen, ob ein Sachverständiger eine natürliche oder juristische Person (Beratungsfirma) sein kann.

 

Bericht über die Verhandlungen

 



IT-Unternehmen fällt hinter EU-Standards zurück

 

Am 27. November 2019 wurde für DXC Technology in Kopenhagen eine EBR-Vereinbarung unterzeichnet. Der IT-Konzern mit 138.000 Beschäftigten in 70 Ländern entstand 2017 aus der Fusion von Computer Sciences Corporation (CSC) mit Teilbereichen von HPE (Hewlett Packard Enterprise). Die neue EBR-Vereinbarung fällt in einigen wichtigen Punkten hinter die subsidiären Vorschriften der geltenden Richtlinie zurück. Hätten die Mitglieder des Besonderen Verhandlungsgremiums ihre Unterschrift verweigert, wären die Arbeitsbedingungen des EBR teilweise besser. In den beiden Vorgängerunternehmen gab es zwischen EBR und zentraler Leitung gerichtliche Auseinandersetzungen. So musste sich im Sommer 2018 das Arbeitsgericht Wiesbaden mit CSC befassen, weil dem EBR Sitzungen verweigert wurden (siehe Bericht in den EBR-News 2/2018) und bei Hewlett-Packard konnte die zentrale Leitung über Jahre hinweg die Wiedergründung eines zuvor aufgelösten EBR verhindern (siehe Bericht in den EBR-News 1/2017).

 

Der neue EBR hat 23 Mitglieder aus zwanzig Ländern mit mehr als 100 Arbeitnehmern. Kleine Länder sind nicht vertreten, große Länder haben höchstens zwei Sitze. Der Arbeitgeber ist kein Teil des EBR und hat auch nicht den Vorsitz. Die beiden britischen Delegierten werden ihr Mandat verlieren, sobald die EBR-Richtlinie im Vereinigten Königreich nicht mehr gilt. Die britische Belegschaft wird dann nur noch durch einen Beobachter ohne Stimmrecht vertreten sein und britische Themen fallen aus der Zuständigkeit des EBR heraus. Jedes Jahr finden zwei Plenarsitzungen über zwei bis drei Tage statt, die sechs Mitglieder des engeren Ausschusses tagen zweimal jährlich.

 

Kurze Konsultationsfrist ohne richtige Sachverständigenunterstützung

 

Bei Restrukturierungen wird der EBR beteiligt, wenn mindestens 250 Arbeitsplätze in zwei Ländern betroffen sind oder ein Land komplett geschlossen wird. In solchen Fällen wird zunächst das weitere Vorgehen in einer Videokonferenz besprochen. Danach findet meist eine Sondersitzung des engeren Ausschusses mit den Delegierten aller betroffenen Länder statt. Innerhalb von zehn Arbeitstagen nach der Sitzung kann der EBR eine Stellungnahme vorlegen, und nach weiteren zehn Arbeitstagen erfolgt die schriftliche Antwort der zentralen Leitung. Damit ist die Unterrichtung und Anhörung beendet. Der EBR darf keine Beratungsfirma hinzuziehen, sondern nur einen Einzelsachverständigen, dessen Arbeit sich auf die Teilnahme an Sitzungen beschränkt. Betriebswirtschaftliche Analysen sind nicht möglich.

 

Die Auswahl von Schulungsanbietern trifft die zentrale Leitung, der EBR darf aber Vorschläge machen. Die EBR-Vereinbarung unterliegt irischem Recht. Für Streitigkeiten ist die staatliche Kommission für Arbeitsbeziehungen (Workplace Relations Commission) zuständig, in zweiter Instanz Arbeitsgerichte. Die Vereinbarung ist frühestens nach acht Jahren kündbar. Scheitern Verhandlungen über eine neue Vereinbarung, wird der EBR aufgelöst und ein Besonderes Verhandlungsgremium gebildet. Derartige Sonderregelungen zur Abschreckung sind normalerweise nur bei "freiwilligen" Alt-Vereinbarungen zu finden (siehe Bericht in den EBR-News 1/2014).

  7. Gründung von Europäischen Betriebsräten

Schnelle Verhandlungen in tschechischem Energiekonzern

 

Am 11. Oktober 2019 wurde für EPH (Energetický a průmyslový holding) mit Sitz in Prag eine EBR-Vereinbarung geschlossen. Mit 25.000 Beschäftigten ist das private Unternehmen in acht Ländern West- und Osteuropas vertreten, dazu gehört auch die ehemalige Braunkohlesparte von Vattenfall in Ostdeutschland. Es ist erst der zweite EBR, der nach tschechischem Recht arbeitet. 2007 hatte der halbstaatliche Stromproduzent ČEZ den bislang einzigen EBR in Tschechien gegründet (siehe Bericht in den EBR-News 1/2007).

 

Verhandlungsauftakt war im Februar 2019 mit Vertretern aus Tschechien, der Slowakei und Ungarn. Ein Besonderes Verhandlungsgremium (BVG) nach den Regeln der EU-Richtlinie wurde nicht gebildet, die übrigen Länder aber vor Unterzeichnung der Vereinbarung kontaktiert. Der EBR wird sich nach der Sommerpause 2020 konstituieren. Er hat 13 Mitglieder aus sechs Ländern und tagt einmal pro Jahr. Deutschland als größtes Land hat drei Sitze, kleine Länder bis 50 Arbeitnehmer sind nicht vertreten. Zur Belegschaft in England, wo EPH vier Kraftwerke betreibt, gab es keinerlei Kontakte. Das Land wird nicht im EBR vertreten sein, denn die Vereinbarung enthält keine Brexit-Klausel.

 

Der geschäftsführende Ausschuss ist mit acht Mitgliedern relativ groß. Er führt zwei Sitzungen jedes Jahr durch, hinzu kommen Sondersitzungen in außergewöhnlichen Umständen. Neben den typischen Themen der Unterrichtung und Anhörung eines jeden EBR legt die Vereinbarung einen Schwerpunkt auf Arbeits- und Gesundheitsschutz und die Vermeidung von Arbeitsunfällen. Weiter verpflichtet sich das Unternehmen zur Achtung fundamentaler Prinzipien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), unterstützt den sozialen Dialog mit Gewerkschaften und fördert Tarifverhandlungen.

 



Israelisches Pharmaunternehmen gründet EBR

 

Am 9. Dezember 2019 wurde für Teva Europe in Amsterdam eine EBR-Vereinbarung nach niederländischem Recht geschlossen. Teva ist mit 40.000 Beschäftigten, davon 20.000 in Europa, der größte Generikahersteller der Welt. Der EBR ist zuständig für 28 Länder im Europäischen Binnenmarkt sowie für die Schweiz und drei Balkanländer. Das Vereinigte Königreich bleibt auf Dauer mit dabei. Zehn dieser Länder mit weniger als 75 Arbeitnehmern sind durch Delegierte aus Nachbarländern vertreten und haben keinen eigenen Sitz. Deutschland und Ungarn haben zwei Vertreter, die übrigen 16 Länder nur je einen.

 

Einmal pro Jahr findet eine Plenarsitzung unter Leitung des Managements statt, die zu diesem Zweck einen Sekretär benennt. Er organisiert alle Sitzungen, sorgt für Dolmetscher und die Übersetzung von Dokumenten und führt Protokoll in den gemeinsamen Sitzungen mit dem Management. Als reines Arbeitnehmergremium wählt der EBR seinen eigenen Vorsitzenden und vier weitere Mitglieder in den engeren Ausschuss. Dieser wird dreimal im Jahr von der zentralen Leitung unterrichtet, davon zweimal in einer Videokonferenz. Er kann eigene Sitzungen mit örtlichen Betriebsräten vor Ort durchführen.

 

Konsultation im Schnellverfahren, aber späteres Monitoring

 

Die Unterrichtung in außerordentlichen Fällen wurde in vier Punkten definiert und auf nur wenige Daten begrenzt. Eine betriebswirtschaftliche Analyse von Restrukturierungsplänen ist für den EBR damit fast unmöglich. Die Stellungnahme des EBR muss innerhalb von sieben Tagen nach einer Sondersitzung abgegeben werden. Nach Abschluss eines Konsultationsverfahren werden die übrigen EBR-Mitglieder durch den engeren Ausschuss und den Sekretär in einer Telefonkonferenz detailliert informiert. In den Monaten nach Umsetzung einer Restrukturierung prüfen zentrale Leitung und engerer Ausschuss den Fortgang und die Auswirkungen in den einzelnen Ländern und führen dazu Telefonkonferenzen durch. Der EBR hat nur Anspruch auf bezahlte Sachverständige im Fall von Restrukturierungen, nicht jedoch für seine normale Arbeit. Liegen die Kosten dafür höher als 15.000 €, ist vorher eine ausdrückliche Zustimmung der zentralen Leitung erforderlich. Schulungen finden nur im Rahmen der Plenarsitzungen statt, die individuelle Teilnahme an externen Seminaren ist nicht vorgesehen.

 



Aufspaltung in zwei getrennte EBR-Gremien

 

In Barcelona wurde am 16. Dezember 2019 für Adevinta, den größten Online-Marktplatz Europas mit 3.150 Beschäftigten in 16 Ländern der Welt, eine EBR-Vereinbarung geschlossen. Sie unterliegt norwegischem Recht, weil dort die Muttergesellschaft ihren Sitz hat. Der Medienkonzern Schibsted hatte zuvor seine Online-Marktplätze außerhalb Skandinaviens in der spanischen Tochtergesellschaft Adevinta gebündelt und dann an die Börse gebracht. Bisher wurde deren Belegschaft durch den EBR von Schibsted vertreten, der seit 2004 existiert (siehe Bericht in den EBR-News 4/2013). Nun hat Adevinta einen eigenen EBR, der in einer Übergangszeit bis Ende April 2020 noch gemeinsame Sitzungen mit dem EBR von Schibsted durchführt.

 

Vertreten sind nur Länder mit mehr als 50 Arbeitnehmern. Spanien und Frankreich haben je drei Sitze, Italien zwei, Österreich, Ungarn, das Vereinigte Königreich und Irland je einen Sitz. Hinzu kommen sieben Beobachter aus vier Ländern Lateinamerikas sowie Marokko, Tunesien und Weißrussland. Die Wahlmodalitäten für die einzelnen Länder sind sehr ausführlich beschrieben, wie man es sonst nur in SE-Vereinbarungen findet. Die Amtszeit beträgt lediglich zwei Jahre und die Mitgliedschaft ist auf drei Amtszeiten beschränkt. Es gibt einen Lenkungsausschuss mit vier Delegierten aus unterschiedlichen Ländern und einen Verbindungsausschuss mit dem Management, dem der Vorstandsvorsitzende und ein weiterer Manager angehört, der die halbjährlichen EBR-Plenarsitzungen organisiert. Diese dauern drei Tage und finden abwechselnd in Barcelona und einem anderen Land statt.

 

Die EBR-Vereinbarung enthält eine "Policy on Consultation". Danach ist der EBR nur für Länder des Europäischen Wirtschaftsraums offiziell zuständig. Restrukturierungen in anderen Ländern lösen kein Konsultationsverfahren aus. Der Lenkungsausschuss kann aber in solchen Ländern Unterstützung vor Ort leisten und Gespräche führen. Der EBR-Vorsitzende erhält alle Unterlagen des Verwaltungsrates, was sonst nur in SE-Vereinbarungen zu finden ist. Sein Stellvertreter verwaltet das EBR-Budget. Beide sind bis zu 50% ihrer Arbeitszeit freigestellt. Anhörungen sind nur dann als Videokonferenz möglich, wenn der Lenkungsausschuss ausdrücklich zustimmt.

 

Bericht über die Eröffnung des Hauptsitzes in Barcelona

  8. Neue SE-Umwandlungen

Firmengründer lehnen Mitbestimmung im Aufsichtsrat ab

 

Am 25. September 2019 wurde in Frankfurt am Main für adesso eine SE-Beteiligungsvereinbarung unterzeichnet, die mit Eintragung der Europäischen Gesellschaft (SE) im Handelsregister am 27. November 2019 in Kraft trat. Die börsennotierte Beratungs- und Softwaregruppe mit Sitz in Dortmund hat 4.000 Beschäftigte in Europa, der Türkei und den USA, davon allein 3.200 in Deutschland. Der neue SE-Betriebsrat ("European Employee Forum") besteht aus 15 Mitgliedern: zehn aus Deutschland und je eines aus Österreich, Spanien und Bulgarien. Die Schweiz und die Türkei sind Vollmitglieder und erhalten ebenfalls je einen Sitz. Da es in keinem Land - auch nicht in Deutschland - lokale Betriebsräte gibt, finden elektronische Urwahlen statt. Beschlüsse und Wahlen sind grundsätzlich auch in Telefonkonferenzen und per E-Mail möglich.

 

Der SE-Betriebsrat tagt dreimal pro Jahr ohne den Arbeitgeber und wählt einen Vorsitzenden und vier weitere Mitglieder in den geschäftsführenden Ausschuss. Dieser ist für den regelmäßigen Austausch mit der zentralen Leitung zuständig, die nach jeder Sitzung des Aufsichtsrates stattfindet (als Sitzung oder Videokonferenz). Dazu kann der geschäftsführende Ausschuss zwei weitere Mitglieder des SE-Betriebsrates einladen. Da eine Mitbestimmung im Aufsichtsrat nicht vorgesehen ist, öffnet dies einen direkten Informationskanal nach Vorbild der SE-Vereinbarung der Bauträgergesellschaft Inros Lackner (siehe Bericht in den EBR-News 4/2013).

 

SE-Betriebsrat ersetzt fehlende lokale Betriebsräte

 

Die Unterrichtung und Anhörung bei außergewöhnlichen Umständen wurde sehr präzise definiert und beinhaltet Mitbestimmungsrechte, die in anderen SE-Vereinbarungen nicht existieren. So hat der SE-Betriebsrat bei Betriebsschließungen oder Massenentlassungen das Recht, in jedem betroffenen Land eine Betriebsversammlung durchzuführen und über Kompensationsleistungen zu verhandeln. Gibt es keine Einigung, ist ein verbindliches Schlichtungsverfahren mit einer neutralen Person vorgesehen, auf die sich beide Seiten verständigen müssen. Andererseits beinhaltet die SE-Vereinbarung einen engen Zeitrahmen für das Konsultationsverfahren und schließt einen einklagbaren Unterlassungsanspruch explizit aus.

 

Sollten die beiden Firmengründer ihre Anteile auf unter 25% reduzieren ("Change of Control"), wird im Aufsichtsrat eine Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer eingeführt. Bis dahin bleibt der Aufsichtsrat ohne Mitbestimmung. Dieses Modell erinnert an die Baugesellschaft Köster, wo im März 2019 eine ähnliche Regelung in die SE-Vereinbarung aufgenommen wurde (siehe Bericht in den EBR-News 1/2019).

 

Pressemitteilung zur SE-Umwandlung

 



Französisches Familienkonglomerat erhält SE-Betriebsrat

 

Am 4. Oktober 2019 wurde am Sitz des Mischkonzerns Bolloré im Pariser Vorort Puteaux eine SE-Vereinbarung geschlossen. Weltweit hat das 200 Jahre alte Familienunternehmen 81.000 Beschäftigte im Transportwesen, in der Mineralölwirtschaft sowie in der Medien- und Kommunikationsbranche, vor allem in französischsprachigen Ländern Afrikas. Die Familie Bolloré gehört zu den zehn reichsten Industriellen Frankreichs. Die neue SE wurde am 19. Dezember 2019 eingetragen, und zwar am historischen Firmensitz in Ergué-Gabéric in der Bretagne. Die Presse spekulierte über die wahren Gründe der SE-Umwandlung: Stimmenthaltungen werden bei Hauptversammlungen der SE nicht mehr gezählt, was den Einfluss der Familienaktionäre stärkt.

 

Da mehrere Konzernunternehmen in Europäische Gesellschaften (SE) umgewandelt wurden, war die Errichtung von zwei Besonderen Verhandlungsgremien mit 25 bzw. 23 Mitgliedern notwendig. Diese beschlossen in ihrer ersten Sitzung, gemeinsam zu tagen und einen gemeinsamen SE-Betriebsrat für den Bolloré-Konzern zu gründen ("Comité Commun des Sociétés Européennes du Groupe Bolloré"). Eine vergleichbare Lösung war 2007 für den französischen Versicherungskonzern Scor gewählt worden (siehe Bericht in den EBR-News 2/2007). Im Verwaltungsrat der Bolloré SE gibt es - wie bisher - zwei Arbeitnehmervertreter mit beratender Stimme. Einer wird künftig vom französischen Konzernbetriebsrat und einer vom SE-Betriebsrat gewählt.

 

Der SE-Betriebsrat tagt einmal im Jahr unter Vorsitz des Familienpatriarchen. Die Arbeitnehmerseite wählt einen Sekretär, der die internen Vor- und Nachbesprechungen leitet sowie den SE-Betriebsrat nach außen vertritt, z. B. vor Gericht. Die Mandatsverteilung in den 17 beteiligten Ländern entspricht genau der SE-Richtlinie, wobei Deutschland und Belgien immer mindestens zwei Sitze erhalten und das Vereinigte Königreich auf Dauer dabei bleibt. Die Zuständigkeit des SE-Betriebsrates wurde enger definiert als in der SE-Richtlinie. Er ist bei Restrukturierungen nur dann zuständig, wenn mindestens drei Länder betroffen sind. In diesem Fall findet auf Antrag der Mehrheit der Arbeitnehmervertreter eine Sondersitzung statt. Einen geschäftsführenden Ausschuss gibt es nicht.

 

Jeder Delegierte hat zusätzlich zu den Sitzungszeiten 16 Stunden Freistellung im Jahr, der Sekretär weitere acht Stunden. Finden mehr als zwei Sitzungen im Jahr statt, erhöht sich das Kontingent um 16 Stunden für jede zusätzliche Sitzung, um vier Stunden für den Sekretär. Jedes Jahr wird von den Arbeitnehmervertretern ein Sachverständigenbüro beauftragt, den SE-Betriebsrat zu beraten. Dagegen sucht die zentrale Leitung die Schulungsanbieter alleine aus. Einen Europäischen Betriebsrat gab es bei Bolloré zuvor noch nicht.

 

Die SE-Vereinbarung im Wortlaut

 



Nutzfahrzeugzulieferer verzichtet auf Besonderes Verhandlungsgremium

 

Am 24. Februar 2020 wurde die SAF-Holland SE in das Luxemburger Handelsregister eingetragen, wo die deutsch-amerikanische Holding ihren Sitz hat. Der Hersteller von LKW-Achsen mit weltweit 4.000 Beschäftigten will die Zentrale in Kürze nach Deutschland verlegen, in sein größtes Werk in Bessenbach (bei Aschaffenburg). Zeitgleich soll nach deutschem Vorbild das dualistische Modell eingeführt werden, also die Trennung in Vorstand und Aufsichtsrat. Allerdings ist keine Mitbestimmung der Arbeitnehmer vorgesehen. Die SE-Umwandlung in Luxemburg stellt sicher, dass der mitbestimmungsfreie Zustand nach Deutschland importiert werden kann.

 

Die SAF-Holland SE wird einen SE-Betriebsrat auf Basis der luxemburgischen Auffangregelung bilden. Normalerweise gilt die Auffangregelung nur beim Scheitern der Verhandlungen, aber das Unternehmen hatte erst gar kein Besonderes Verhandlungsgremium (BVG) gebildet. Während die Fusionsrichtlinie einen Verzicht auf das BVG ausdrücklich ermöglicht, ist dies im SE-Recht nicht vorgesehen. Einen Europäischen Betriebsrat gibt es bei SAF-Holland bisher noch nicht. Das Unternehmen hat mehrere Produktionsstätten in Deutschland und Italien sowie kleine Vertriebsbüros in neun weiteren Ländern des Europäischen Binnenmarktes.

 

Pressemitteilung zur SE-Umwandlung

Der Umwandlungsplan im Wortlaut

  9. Transnationale Meilensteine

Europa-Forum vereinbart Grundsätze zur Sozialverträglichkeit

 

Am 28. November 2019 wurde am Sitz des Chemiekonzerns Bayer in Leverkusen eine gemeinsame Erklärung des Vorstandes und des EBR zum "Bayer 2022 – Plattform Programm" unterzeichnet. Damit will die Geschäftsleitung Kosten für Corporate Functions, Business Services und Länderplattformen massiv reduzieren. Bis Ende 2021 sind davon 7.000 der weltweit 117.000 Arbeitsplätze betroffen. Auch in europäischen Ländern werden Stellen abgebaut und teilweise in Shared Service Center verlagert.

 

Das Bayer Europa Forum, so der Name des EBR, besteht schon seit 1994 und hat Erfahrungen mit der sozialverträglichen Gestaltung solcher Umstrukturierungen. Zuletzt wurden im November 2014 bei der Ausgliederung der Kunststoffsparte Covestro mit ihren 17.000 Beschäftigten ähnliche Grundsätze zur Sozialverträglichkeit vereinbart (siehe Bericht in den EBR-News 4/2014). Sie gelten für alle Länder im Europäischen Binnenmarkt und enthalten die folgenden Punkte:

  • Klare Analyse der Situation, Risiken und Chancen
  • Klare Zielbestimmung und Zielverfolgung
  • Fairer Umgang mit den betroffenen Arbeitnehmern: offener und transparenter Unterrichtungs- und Anhörungsprozess und das Ausschöpfen interner Möglichkeiten zur Beschäftigungssicherung
  • Die Betroffenen sollen vorrangig auf freie Arbeitsplätze innerhalb ihres Landes versetzt und durch Weiterbildung hierzu befähigt werden
  • Betriebsbedingte Kündigungen sind nur als letztes Mittel möglich, bei unvermeidlicher Trennung bietet das Unternehmen Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche

Der EBR wird von der zentralen Leitung in einer "Paritätischen Kommission" zum Umsetzungsstand in den einzelnen Ländern regelmäßig informiert. Auch die Geschäftsführung des Europa Forums und alle Konsultationsverfahren in außergewöhnlichen Umständen finden in dieser Kommission statt, in der die größeren Länder mit jeweils einem EBR-Mitglied vertreten sind. Sie tagt viermal im Jahr und kann als Clearingstelle angerufen werden, wenn die Grundsätze zur Sozialverträglichkeit in einem europäischen Land verletzt werden. Für die 32.000 Beschäftigen in Deutschland hatte der Gesamtbetriebsrat bereits am 2. Oktober 2019 den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2025 erreicht.

 

Pressemitteilung über die Vereinbarung für Deutschland

 



Französischer Reifenhersteller gründet Weltbetriebsrat

 

Am 27. Januar 2020 wurde in Boulogne-Billancourt (bei Paris) eine Vereinbarung über einen Weltbetriebsrat zwischen der Konzernleitung des zweitgrößten Reifenherstellers der Welt und dem Internationalen Industriegewerkschaftsbund (IndustriALL) unterzeichnet. Sie baut auf den Erfahrungen des Europäischen Betriebsrates auf, der schon 1999 gegründet wurde. Nach französischem Modell liegt der Vorsitz beim Generaldirektor des Konzerns. Die 50 Mitglieder des Weltbetriebsrats führen bis zu zwei Sitzungen pro Jahr durch und erhalten 20 Stunden Freistellung pro Jahr zusätzlich zur Sitzungszeit.

 

Michelin hat 125.000 Beschäftigte in 67 Fabriken weltweit. Im Weltbetriebsrat sind anfangs jedoch nur die EU-Länder, die USA, Kanada, Brasilien, Serbien und Thailand vertreten. Da es in China, Russland, Mexiko und Indien bisher keine demokratisch gewählten Arbeitnehmervertreter gibt, sind diese Länder noch nicht dabei. Mit der Vereinbarung erkennt die Konzernleitung die Bedeutung der grundlegenden Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und die OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen ausdrücklich an. Michelin verpflichtet sich, die Koalitionsfreiheit und Rechte der Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften in jedem Land der Welt zu schützen.

 

Bericht von der Unterzeichnung

Die Vereinbarung im Wortlaut

Interview mit dem Arbeitsdirektor

  10. Interessante Webseiten

Gewerkschaftsmonitor zur Corona-Krise

Der Europäische Industriegewerkschaftsbund (IndustriALL) in Brüssel informiert auf einer speziellen Webseite über Sofortmaßnahmen, die auf EU-Ebene und in einzelnen Ländern ergriffen wurden, um diese Krise zu bewältigen. Eine besondere Bedeutung hat für ihn dabei der Gesundheitsschutz von Arbeitnehmern, die nicht mobil im Homeoffice arbeiten können, und die finanzielle Entschädigung bei Krankheit oder Produktionsunterbrechungen.

 

Die Webseite zur Corona-Krise

Überblick über die nationalen Maßnahmen

 



Online-Enzyklopädie zum betrieblichen Gesundheitsschutz

 

Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA), eine Einrichtung der EU mit Sitz in Bilbao (Spanien), bietet auf ihrem OSHwiki den Austausch von Wissen, Informationen und bewährten Verfahren. Nach dem Wiki-Konzept (siehe Wikipedia) können Benutzer und Autoren ihr Wissen dort publizieren und austauschen.

 

Überblick über die Themen des OSHwiki

Die Startseite des OSHwiki

 



Europäischer Gleichstellungsindex

Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE), eine Agentur der EU mit Sitz in der litauischen Hauptstadt Wilna, untersucht regelmäßig die Gleichstellung der Geschlechter und veröffentlicht hierzu einen Index, zuletzt 2019. Gegenüber 2005 zeigt er eine nur leichte Verbesserung von 5,4 Punkten. In den Länderanalysen steht Schweden mit 83,6 Punkten an der Spitze und Griechenland mit 51,2 Punkten an letzter Stelle. Deutschland liegt mit 66,9 Punkten noch knapp unterhalb des EU-Durchschnitts. Mit "EuroGender" betreibt das Institut eine virtuelle Kooperationsplattform.

 

Der Gleichstellungsindex 2019

Die Kooperationsplattform EuroGender

 



Fakten zur Mitbestimmung für Interessierte in den USA

 

Einige US-Wissenschaftler haben auf einer eigenen Webseite Fakten zur Mitbestimmung im Aufsichtsrat zusammengetragen. Damit wollen sie die aktuelle Diskussion über eine mögliche Reform der Corporate Governance befördern (siehe Bericht in den EBR-News 4/2018). Unter dem Titel "Bringing America Together" sind dort Erläuterungen, Zitate und empirische Fakten aus Europa zu finden.

 

Die Webseite der US-Wissenschaftler

Überblick über die Diskussion zur Mitbestimmung in den USA

  11. Neue Publikationen

Ländervergleich zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben

 

Ende Oktober 2019 publizierte der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) in Brüssel eine Auswertung von Tarifverträgen zur Work-Life-Balance in zehn Ländern. Für jedes Land wird der aktuelle Stand der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben untersucht, die Tarifverhandlungsstrukturen dargestellt und bewährte Modelle der Tarifparteien beleuchtet. Die untersuchten Länder sind Finnland, Litauen, Schweden, Deutschland, die Niederlande, Frankreich, Spanien, Portugal, Italien und Slowenien. Die Studie zeigt beispielsweise große Unterschiede beim Anspruch auf Elternurlaub – in einigen Ländern gibt es höhere Geldleistungen oder eine längere Dauer als in anderen. Die Möglichkeit für Väter, Elternurlaub zu nehmen, wirkt sich wesentlich auf die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt aus. Die Studie ist in fünf Sprachen verfügbar, zusätzlich gibt es ein Toolkit zur neuen EU-Richtlinie über die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.

 

Download der Studie

Download des Toolkit

Download weiterer Sprachversionen

 



Gewerkschaftsrechte in der globalisierten Wirtschaft

Im Dezember 2019 veröffentlichte das DGB-Bildungswerk in Düsseldorf eine Broschüre über Schutz und Umsetzung von Gewerkschaftsrechten, die als integraler Bestandteil der Menschenrechte gesehen werden. Sie beleuchtet die Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die dazu dienen, internationale Arbeitsstandards zu setzen. Weitere Themen sind die UN-Leitprinzipen, die EU-Handelspolitik und die Initiative Lieferkettengesetz (siehe Bericht in den EBR-News 4/2019). Ein wichtiger Teil der Broschüre sind die internationalen Rahmenabkommen zwischen Gewerkschaften und multinationalen Unternehmen (IFA). Die Autorinnen legen einen besonderen regionalen Schwerpunkt auf Kolumbien, Brasilien, Afrika südlich der Sahara und Südostasien.

 

Download der Broschüre

 



Briefkastenfirmen als soziales Problem

 

Im Februar 2020 legte der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) diese von der Universität Tilburg erstellte Broschüre zum Unternehmensrecht vor. Darin durchforstet der Autor das EU-Recht auf Lücken, mit denen es künstlichen Firmenkonstruktionen möglich ist, ihren Sitz in einem Niedrigsteuerland zu nehmen, während kommerzielle Aktivitäten in anderen Ländern durchgeführt werden. Eine Folge solcher Briefkastenfirmen kann auch Sozialdumping und Ausbeutung von Arbeitnehmern sein. Das EU-Recht sieht weder Kontrolle noch wirksame oder abschreckende Sanktionen gegen den Missbrauch vor. Kritisiert wird auch die Rechtsform der Europäischen Gesellschaft (SE), da arbeitnehmerlose Firmenmäntel dem Geist der SE-Richtlinie widersprechen und ein Instrument für Regime-Shopping darstellen. Seit 1. Januar 2020 gilt das "Company Law Package", das die grenzüberschreitende Umwandlung, Verschmelzung und Spaltung von Unternehmen erleichtert und eine Frist zum Wegfall der Mitbestimmung enthält (siehe Bericht in den EBR-News 3/2019).

 

Download der Broschüre

 



Neuer juristischer Kommentar zum deutschen EBR-Gesetz

 

Im Februar 2020 ist die 17. Auflage dieses Kommentarbuchs zum deutschen Betriebsverfassungsgesetz erschienen. Darin widmet sich Prof. Dr. Wolfgang Däubler auf knapp 100 Seiten dem Europäische Betriebsrätegesetz (EBRG). Zahlreiche Gerichtsentscheidungen quer durch Europa bis Oktober 2019 sind bereits eingearbeitet. Die Teile zum Gesamt- und Konzernbetriebsrat wurden komplett neu bearbeitet und die neue Whistleblower-Richtlinie der EU ist mit berücksichtigt (siehe Bericht in den EBR-News 4/2019). Rechtsprechung zum neuen Datenschutzrecht gehört auch dazu. Mit seinen über 3.000 Seiten ist der Kommentar ein Standardwerk, das in keinem Betriebsratsbüro fehlen darf. Zusätzlich zur gedruckten Version ist auch eine digitale Version verfügbar.

 

Online-Bestellung

  12. Die EWC Academy: Beispiele aus unserer Arbeit

Fast 70 Teilnehmer aus neun Ländern in Hamburg

 

Am 27. und 28. Januar 2020 fand die zwölfte Fachtagung der EWC Academy für Mitglieder Europäischer und SE-Betriebsräte statt. Es war die größte von allen Hamburger Fachtagungen, die seit 2009 jedes Jahr organisiert wird. Da sie simultan gedolmetscht wird, kam etwa ein Drittel der Teilnehmer nicht aus Deutschland. Das Programm für den zweiten Tag sieht neuerdings Arbeitsgruppen zum direkten Austausch vor.

 

Die Referenten des ersten Tages berichteten über das Rahmenabkommen zur Zukunft der Arbeit bei Unilever (siehe Bericht in den EBR-News 1/2019) und die EBR-Arbeit im Mineralölkonzern Total (siehe Bericht in den EBR-News 4/2017). Ein weiteres Thema waren die Reformen der Corporate Governance im Vereinigten Königreich (siehe Bericht in den EBR-News 4/2017).

 



Konsumgüterkonzern will Buchhaltung europaweit neu ordnen

 

Am 20. Februar 2020 wurde der engere Ausschuss des Europa-Dialogs von Beiersdorf, das "European Dialogue Coordination Team", bei einer Sitzung in Göteborg über die Auflösung der Buchhaltungsabteilungen in elf Ländern informiert. Beiersdorf hat eine "freiwillige" EBR-Vereinbarung von 1995, die zuletzt im März 2012 aktualisiert wurde, aber bis heute nur eine Unterrichtung und keine Anhörung beinhaltet. Derzeit wird mit Unterstützung der EWC Academy die Frage diskutiert, wie der Europa-Dialog mit einer derartigen Situation umgehen kann. Das Hamburger Unternehmen Beiersdorf hat 20.000 Beschäftigte und das bekannteste Produkt ist Nivea-Creme.

 



SE-Rechtsstreit geht in die nächste Runde

 

Am 28. Februar 2020 lehnte das Arbeitsgericht Hamburg den Antrag des deutschen Konzernbetriebsrates von Olympus ab, ein Besonderes Verhandlungsgremium zu bilden. Die zentrale Leitung des japanischen Konzerns sträubt sich gegen die Errichtung eines SE-Betriebsrats und die (Wieder-)Einführung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Im Zuge einer SE-Umwandlung waren 2013 alle Arbeitnehmervertreter aus dem Aufsichtsrat entfernt worden (siehe Bericht in den EBR-News 3/2019). Da es sich hier um einen Präzedenzfall für die gesamte SE-Landschaft handelt, legte der Konzernbetriebsrat umgehend Beschwerde beim Landesarbeitsgericht Hamburg ein. Beraten wird er unter anderem von der EWC Academy.

 

Weitere Informationen zur Rechtsform der SE

  13. Aktuelle Seminartermine

Die EWC Academy und ihre Vorläuferorganisation führt seit Januar 2009 Tagungen und Seminare für Mitglieder von Europäischen Betriebsräten, SE-Betriebsräten und Besonderen Verhandlungsgremien durch. Bisher haben daran 838 Arbeitnehmervertreter aus 288 Unternehmen teilgenommen, viele von ihnen auch mehrfach. Das entspricht 25% aller transnationalen Betriebsratsgremien in Europa. Hinzu kommen zahlreiche Inhouse-Veranstaltungen und Gastvorträge bei anderen Veranstaltern.

 

Überblick über die bevorstehenden Seminartermine

 



EBR- und SE-Seminar auf Schloss Montabaur

Vom 20. bis 23. Oktober 2020 findet unser jährliches Grundseminar für Mitglieder (auch für künftige Mitglieder) von Europäischen Betriebsräten, SE-Betriebsräten und Besonderen Verhandlungsgremien in Montabaur statt. Das Schloss liegt beim ICE-Bahnhof auf halbem Weg zwischen Frankfurt am Main und Köln. Dort werden mehrere Seminarbausteine für Einsteiger und Fortgeschrittene angeboten.

 

Das Programm des Grundseminars

Bericht von einem früheren Grundseminar in Montabaur

 

Alle weiteren Veranstaltungen können wegen der Corona-Pandemie leider nicht stattfinden.

 



Inhouse-Veranstaltungen


Eine Übersicht über mögliche Themen für Inhouse-Veranstaltungen finden Sie hier:

 

Beispiele für Inhouse-Seminare

  14. Impressum

Die EBR-News werden herausgegeben von:

EWC Academy GmbH
Rödingsmarkt 52, D-20459 Hamburg
www.ewc-academy.eu

Verteiler der deutschsprachigen Ausgabe: 22.532 Empfänger
Verteiler der englischsprachigen Ausgabe: 3.931 Empfänger
Verteiler der französischsprachigen Ausgabe: 3.962 Empfänger

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