Nr. 2/2023
4. Juli 2023    
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Willkommen zur Ausgabe Nr. 2 / 2023 der EBR-News  

Inhalt

  1. Erster Schritt zur Überarbeitung der EBR-Richtlinie
  2. Entwicklungen auf europäischer Ebene
  3. Korrekte Umsetzung von EU-Richtlinien in Deutschland?
  4. EBR-Recht in Irland
  5. Investitionen in Halbleiter und Elektromobilität
  6. Verstaatlichung von Pflegekonzern beendet Union Busting
  7. Neue EBR-Vereinbarungen
  8. Jüngste SE-Umwandlungen
  9. Der Blick über Europa hinaus
10. Interessante Webseiten
11. Neue Publikationen
12. Die EWC Academy: Beispiele aus unserer Arbeit
13. Aktuelle Seminartermine
14. Impressum

 

  1. Erster Schritt zur Überarbeitung der EBR-Richtlinie

Europäische Kommission bittet Sozialpartner um Stellungnahmen


Am 11. April 2023 begann die erste Phase der Konsultationen zur Überarbeitung der Richtlinie über Europäische Betriebsräte. Noch vor Ende 2023 soll das Gesetzgebungsverfahren offiziell beginnen, dem eine zweistufige Konsultation der Sozialpartner vorgeschaltet ist. Sollten Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände einen Entwurf miteinander verhandeln und gemeinsam vorlegen, könnte dieser als neue EBR-Richtlinie in Kraft gesetzt werden. Die Konsultation folgt einer Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. Februar 2023, die konkrete Änderungen an der EBR-Richtlinie fordert (siehe Bericht in den EBR-News 1/2023).

 

Das Papier listet Probleme im Zusammenhang mit den folgenden Aspekten auf:

  • Definition des Begriffs "länderübergreifende Angelegenheiten"
  • Definition des Begriffs "Anhörung"
  • Vorschriften über die "Vertraulichkeit"
  • Zeitrahmen für Verhandlungen über die Gründung eines Europäischen Betriebsrates
  • Verfahren zur Durchsetzung der Richtlinie (Rechtsweg und Sanktionen)
  • Status von "freiwilligen" EBR-Vereinbarungen, die vor September 1996 oder in der Übergangszeit zwischen 2009 und 2011 geschlossen wurden.
Folgende Fragen stellte die Europäische Kommission an Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände:
1) Sind Sie der Auffassung, dass die Probleme korrekt aufgeführt sind?
2) Sind Sie der Auffassung, dass Maßnahmen erforderlich sind, um die Probleme zu beheben? Wenn dies zutrifft, welche Ausrichtung und welchen Umfang sollten diese Maßnahmen haben?
3) Würden Sie in Erwägung ziehen, den Text einer neuen EBR-Richtlinie als gemeinsamen Vorschlag der Sozialpartner zu erarbeiten?
 

Pressemitteilung der Europäischen Kommission

Das Konsultationspapier im Wortlaut

Radiobericht im Deutschlandfunk

Bericht aus Österreich


Die Antwort der Gewerkschaften


Am 22. Mai 2023, einen Tag vor Beginn seines Kongresses zum 50jährigen Bestehen in Berlin, wurde die offizielle Stellungnahme des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) vorgelegt. Es ist wenig überraschend, dass er viele Forderungen des Europäischen Parlaments für eine Gesetzesinitiative unterstützt, denn er fordert dies schon seit Jahren. Alle kritischen Punkte finden sich in einem Positionspapier von 2017 (siehe Bericht in den EBR-News 1/2017). Die aktuelle Stellungnahme enthält dennoch Aspekte, die neu und bemerkenswert sind.

  • Die Forderung nach einem Unterlassungsanspruch, um bei Verstoß gegen Unterrichtungs- und Anhörungspflichten die Maßnahmen des Unternehmens gerichtlich vorübergehend stoppen zu lassen, ist nicht neu. Der EGB fordert jetzt aber explizit ein Justizsystem, das Entscheidungen rund um die Uhr innerhalb weniger Stunden ermöglicht.
  • Die geringe Zahl an Rechtsstreitigkeiten führt der EGB auf viele Hürden zurück, die Europäische Betriebsräte de facto davon abschrecken, vor Gericht zu gehen. Ein effektiver Zugang zur Justiz gehört daher zu den Kernforderungen.
  • Versuche der zentralen Leitung, externe Gewerkschaftssekretäre und Sachverständige von EBR-Sitzungen auszuschließen, sollen verboten werden. Diese Vorgehensweise findet sich häufig in angelsächsisch geprägten Unternehmen.
  • Vertraulichkeitsklauseln werden immer wieder vom Management missbraucht, um den EBR bei der Kommunikation mit nationalen Arbeitnehmervertretern oder der Belegschaft zu behindern. Auch hier soll ein einstweiliger Rechtsschutz eingeführt werden, der rund um die Uhr zugänglich ist, um innerhalb von 48 Stunden über eine solche Angelegenheit zu entscheiden.
  • Der EGB will auch Unternehmen mit komplexen Geschäftsstrukturen, Franchisesystemen und 50:50-Joint Ventures in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbeziehen. Für Konzerne aus Drittstaaten außerhalb der EU sollen objektive Kriterien für die Wahl des nationalen Rechts festgelegt werden, um Regime-Shopping und den Einsatz von Briefkastenfirmen zu vermeiden.
  • Der EGB bemängelt, dass keine Verbindungen zwischen Sorgfaltspflicht und EBR hergestellt werden. Er soll bei der Erfassung potenzieller Risiken für Menschenrechte und Umwelt sowie in den Liefer- und Unterauftragsketten mitwirken können.

  • Anders als das Europäische Parlament will der EGB die Dreijahresfrist für Verhandlungen über die Errichtung eines EBR nicht verkürzen. Das Parlament will diese Frist halbieren.
  • Vorschläge des Europäischen Parlaments für die Einführung einer Geschlechterquote im EBR haben die Gewerkschaften nicht aufgegriffen.

 

Die Stellungnahme des EGB

Bericht über den EGB-Kongress

Das Arbeitsprogramm des EGB für 2023 bis 2027


Die Antwort der Arbeitgeberverbände


Am 25. Mai 2023 publizierte BusinessEurope, der europäische Dachverband der Arbeitgeberverbände, seine Stellungnahme. Wie bisher lehnt er jede Änderung an der Richtlinie ab, weil Vertrauen zwischen den Betriebsparteien nicht gesetzlich erzwungen werden kann. Die von der Europäischen Kommission benannten Probleme seien eher praktischer als rechtlicher Natur und würden durch eine Überarbeitung der Richtlinie nicht angegangen. Die geringe Zahl der Gerichtsverfahren zeige, dass die meisten Europäischen Betriebsräte zufriedenstellend arbeiten.

 

Die Arbeitgeberverbände schlagen statt einer Gesetzesänderung einen "Code of practice" vor, mit dem einige unklare Begriffe der Richtlinie geklärt werden können, z. B. die transnationale Zuständigkeit des EBR, der Umfang der Informationslieferung oder Fristen für die Konsultationsverfahren. Insbesondere lehnen sie behördliche oder richterliche Anordnungen ab, die die Entscheidungsfindung einfrieren oder verzögern könnten. Unverhältnismäßig hohe Strafen würden zur Untergrabung des Vertrauens führen. Mögliche Sanktionen sollten ausschließlich durch die Mitgliedstaaten und nicht von der EU festgelegt werden, was auch von rechten Parteien im Europäischen Parlament gefordert wird. BusinessEurope unterstützt Vertragsverletzungsverfahren gegen einzelne Länder, wenn sie erforderlich sind. Momentan läuft ein solches Verfahren gegen Irland (siehe Bericht in den EBR-News 2/2022).

 

Videokonferenzen sollten rechtlich geregelt werden

 

Weder das Europäische Parlament noch die Europäische Kommission erwähnen in ihren Vorschlägen das Thema Videokonferenzen für den EBR. BusinessEurope weist darauf hin, dass den Unternehmen und den EBR-Mitgliedern mehr Flexibilität geboten werden sollte, um die Kosten zu begrenzen und die Möglichkeiten digitaler Kommunikation sinnvoll zu nutzen. Die Arbeitgeberverbände zeigen sich offen für Verhandlungen mit den Gewerkschaften über Änderungen an der Richtlinie, wenn die zweite Stufe der Anhörung durch die Europäische Kommission "eine ausgewogene Verhandlungsbasis" bietet.

 

Die Stellungnahme der Arbeitgeberverbände


Die nächsten Schritte

 

Nach Auswertung der Stellungnahmen wird die Europäische Kommission nach der Sommerpause die zweite Konsultationsphase mit den Sozialpartnern einleiten. Der Zeitplan ist eng, denn vor Jahresende soll der Entwurf des neuen Richtlinientextes vorliegen. Auch muss sie prüfen, ob die Grundsätze der Subsidiarität, der Verhältnismäßigkeit und der Verbesserung der Rechtsvorschriften gewahrt sind und Unternehmen nicht unnötig belastet werden. Der Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens fällt dann in die Amtszeit der neuen, nach der Europawahl im Juni 2024 amtierenden Kommission.

 

Veranstaltungshinweis

 

Der aktuelle Stand des Revisionsverfahrens wird auf der nächsten EBR-Fachtagung am 29. und 30. Januar 2024 in Hamburg behandelt. Das genaue Programm ist nach der Sommerpause verfügbar.

  2. Entwicklungen auf europäischer Ebene

Lohntransparenzrichtlinie verabschiedet


Am 30. März 2023 stimmte das Europäische Parlament mit großer Mehrheit bei 427 Ja-, 79 Nein-Stimmen und 76 Enthaltungen für die Annahme der neuen Richtlinie zur Lohntransparenz, mit der das geschlechtsspezifische Lohngefälle in der EU verringert werden soll. 2021 erhielten Frauen in der EU durchschnittlich 12,7% weniger Lohn als Männer, wobei es zwischen den Ländern große Unterschiede gab: in Luxemburg ist kein Lohngefälle mehr festzustellen, in Estland liegt es dagegen bei 20,5%. Deutschland hat mit 17,6% einen recht hohen Wert, etwa soviel wie die USA.

 

Die Richtlinie trat am 7. Juni 2023 in Kraft und muss von den Mitgliedstaaten innerhalb von drei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden. Alle Unternehmen über 100 Beschäftigten müssen dann ihre Entlohnungsstrukturen transparenter machen. Übersteigt das Lohngefälle 5%, ist mit dem Betriebsrat eine Lohn- und Gehaltsbewertung durchzuführen und ein Aktionsplan zur Gleichstellung zu erstellen. Jeder Beschäftigte darf dann geschlechtsspezifisch aufgeschlüsselte Gehaltsdaten einsehen, um ein mögliches Lohngefälle aufzudecken. Die Richtlinie geht weit über das 2017 verabschiedete deutsche Gesetz hinaus und sieht auch Sanktionen vor: Entschädigungen, Beweislastumkehr und Strafen bei Nichteinhaltung. Das Gesetzgebungsverfahren für die Richtlinie hatte im März 2021 begonnen (siehe Bericht in den EBR-News 1/2021). In Deutschland urteilte das Bundesarbeitsgericht im Februar 2023 zuletzt über einen Fall von Entgeltdiskriminierung (siehe Bericht in den EBR-News 1/2023).

 

Bericht über die Abstimmung im Europäischen Parlament

Bericht über die Inhalte der Richtlinie

Die Richtlinie im Wortlaut

Aktuelle Zahlen zum Lohngefälle in der EU


Schweden schließt sich der Klage gegen die Mindestlohnrichtlinie an


Am 27. April 2023 gab die schwedische Regierung bekannt, dass sie der Nichtigkeitsklage gegen die EU-Mindestlohnrichtlinie beim Europäischen Gerichtshof beitreten wird. Die Klage wurde von der dänischen Regierung am 18. Januar 2023 dort eingebracht (siehe Bericht in den EBR-News 1/2023). Die Gewerkschaften der beiden Länder befürchten Mitgliederverluste, wenn alle Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf den Mindestlohn bekommen - auch wenn sie keiner Gewerkschaft angehören. Der schwedische Gewerkschaftsbund LO zahlte vorübergehend keine Beiträge mehr an den Europäischen Gewerkschaftsbund (siehe Bericht in den EBR-News 1/2022), der auf seinem Kongress am 25. Mai 2023 in Berlin eine zügige Umsetzung der Richtlinie forderte.

 

Pressebericht über die Entscheidung der schwedischen Regierung

Bericht über den Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbundes


Richtlinie zur weltweiten Sorgfaltspflicht auf der Zielgeraden


Am 1. Juni 2023 legte das Europäische Parlament mit 366 Ja- und 225 Nein-Stimmen bei 38 Enthaltungen seine Position über die Inhalte der Richtlinie zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht ("Due Diligence") fest. Der Entwurf zu dieser Richtlinie, die Unternehmen für Verletzungen von Menschenrechten und Umweltstandards in der gesamten Lieferkette verantwortlich macht, liegt seit Februar 2022 vor (siehe Bericht in den EBR-News 1/2022). Normalerweise finden sozialpolitische Initiativen eine große Mehrheit im Parlament, aber hier gab es viele Gegenstimmen, insbesondere von den Christdemokraten.

 

Das Europäische Parlament formulierte ehrgeizigere Ziele als die Europäische Kommission. So würde die Sorgfaltspflicht alle Unternehmen ab 250 Beschäftigten und 40 Mio. € Umsatz betreffen (statt 500 Beschäftigte und 150 Mio. € Umsatz). Die Abgeordneten wollen auch Finanzdienstleister einbeziehen. Alle Unternehmen müssten einen Plan erstellen, wie sie ihre Treibhausgasemissionen senken. Dieser Plan wäre mit den Arbeitnehmervertretungen abzustimmen, auch Europäische Betriebsräte könnten hier eine Rolle spielen. Die variable Vergütung für Vorstände von Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten soll daran ausgerichtet werden. Bei Nichteinhaltung der Richtlinie soll eine Geldstrafe bis zu 5% des weltweiten Umsatzes anfallen. Der endgültige Gesetzestext wird in den kommenden Wochen im Trilog (Parlament, Kommission, Ministerrat) ausverhandelt, damit die Richtlinie vor Jahresende verabschiedet werden kann.

 

Bericht über die Abstimmung im Europäischen Parlament

Hintergrundinformationen zum Thema

 

Veranstaltungshinweis

 

In Deutschland ist am 1. Januar 2023 das Lieferkettengesetz in Kraft getreten (siehe Bericht in den EBR-News 1/2023), das durch die EU-Richtlinie möglicherweise noch verschärft werden muss. Am 16. und 17. November 2023 findet dazu ein Seminar in Bremerhaven statt.

 

Das Programm des Seminars

  3. Korrekte Umsetzung von EU-Richtlinien in Deutschland?

Bundesarbeitsgericht bekräftigt Mitbestimmung in der SE-Richtlinie


Am 23. März 2023 ging der historisch erste Rechtsstreit um die Aufsichtsratsmitbestimmung in Unternehmen mit der Rechtsform einer Europäischen Gesellschaft (SE) zu Ende. Nach über sieben Jahren konnten die Gewerkschaften ver.di und IG Metall vor dem Bundesarbeitsgericht erreichen, dass das Softwareunternehmen SAP seinen Aufsichtsrat anders besetzen muss. Die Richter ordneten an, dass die Verkleinerung des Aufsichtsrates von 18 auf zwölf Mitglieder rückgängig gemacht wird und die Gewerkschaften ihre garantierten Sitze wie in einem deutschen Aufsichtsrat behalten dürfen.

 

Damit wurde erstmals eine gültige SE-Beteiligungsvereinbarung per Gerichtsentscheid teilweise außer Kraft gesetzt. Zuvor hatte der Europäische Gerichtshof am 18. Oktober 2022 entschieden, dass die Vorrechte der (externen) Gewerkschaften bei einer SE-Umwandlung nicht eingeschränkt werden dürfen (siehe Bericht in den EBR-News 4/2022). Das Verfahren ist über den konkreten Fall hinaus bedeutend, weil die SE-Umwandlung von vielen Unternehmen benutzt wird, um die Mitbestimmung im Aufsichtsrat zu schwächen oder ganz zu vermeiden. Gewerkschaften und Hans-Böckler-Stiftung fordern daher gesetzliche Initiativen von der deutschen Bundesregierung, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht (siehe Bericht in den EBR-News 4/2021).

 

Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung

 

Weitere laufende Rechtsstreitigkeiten zur SE

 

Seit Mai 2022 ist ein zweiter Fall zur SE-Mitbestimmung beim Europäischen Gerichtshof anhängig, er betrifft den japanischen Optik- und Fotokonzern Olympus (siehe Bericht in den EBR-News 2/2022). Und ein dritter Fall ist auf dem Weg zum Bundesarbeitsgericht, der des Familienunternehmens Brose Fahrzeugteile aus Coburg (siehe Bericht in den EBR-News 3/2022).


Ungleiche Bezahlung durch Tarifvertrag mit EU-Recht vereinbar


Am 31. Mai 2023 bestätigte das Bundesarbeitsgericht die gängige Praxis, dass Leiharbeiter schlechter bezahlt werden dürfen als die Stammbelegschaft im Entleihbetrieb. Im Durchschnitt erhalten die 800.000 Leiharbeiter in Deutschland (2% aller Arbeitsverhältnisse) 600 € weniger im Monat. Dies sei rechtlich nicht zu beanstanden, so die Richter, wenn die Ungleichbehandlung im Tarifvertrag anders ausgeglichen wird. Ein solcher Ausgleich ist z. B. der gesetzliche Anspruch auf Fortzahlung von Entgelt in einsatzfreien Zeiten, den es in anderen Ländern nicht gibt.

 

Der Europäische Gerichtshof hatte im Dezember 2022 entschieden, dass Leiharbeiter zwar schlechter bezahlt werden dürfen als die Stammbelegschaft, aber hierfür einen angemessenen Ausgleich erhalten müssen, um den "Gesamtschutz" zu gewährleisten (siehe Bericht in den EBR-News 1/2023). Dieses Urteil aus Luxemburg erweckte den Anschein, das eine Ungleichbehandlung kaum noch möglich ist. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Hoffnung jedoch zunichte gemacht. Die geltenden Tarifverträge in der Leiharbeit würden nicht der EU-Richtlinie widersprechen. Sie erlaubt Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn Leiharbeiter ein unbefristetes Arbeitsverhältnis haben, in Zeiten zwischen den Überlassungen bezahlt werden und ein Tarifvertrag die Schlechterbezahlung erlaubt.

 

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts

Pressebericht über das Urteil


Deutschland setzt Hinweisgeberschutzgesetz mit Verspätung in Kraft


Am 2. Juli 2023 wurde mit eineinhalb Jahren Verspätung die EU-Whistleblower-Richtlinie in Deutschland umgesetzt. Sechs weitere EU-Länder sind ebenfalls im Rückstand, weshalb die Europäische Kommission Klage beim Europäischen Gerichtshof einreichte. Der Grund für die Verzögerung waren zunächst Unstimmigkeiten in der Großen Koalition und am 10. Februar 2023 stoppte der Deutsche Bundesrat den Gesetzentwurf der neuen Bundesregierung. Die Richtlinie trat im Dezember 2019 in Kraft und sah eine zweijährige Umsetzungsfrist vor (siehe Bericht in den EBR-News 4/2019).

 

Das Gesetz verpflichtet alle Unternehmen ab 50 Beschäftigten, Kanäle zur vertraulichen Meldung von Rechtsverstößen einzurichten. Wer Korruption, Steuerbetrug oder Verletzung von Umweltstandards aufdeckt, ist dann vor Repressalien geschützt. Für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) verstößt das Gesetz teilweise gegen europarechtliche Vorgaben, da es grundsätzlich den internen Meldekanal vorschreibt, kein Schmerzensgeld für Hinweisgeber vorsieht und die Beweislastumkehr erschwert.

 

Bericht über die Inhalte des Gesetzes

Das Gesetz im Wortlaut

Pressemitteilung des DGB

Gewerkschaftlicher Leitfaden für Whistleblower

  4. EBR-Recht in Irland

Gerichtsentscheidung stellt Funktionsfähigkeit des EBR in Frage


Am 14. April 2023 gab die Workplace Relations Commission (WRC) die erste Entscheidung eines EBR-Rechtsstreits in der Geschichte Irlands bekannt. Die WRC fungiert als erste Instanz bei Streitigkeiten aus dem irischen EBR-Gesetz (TICEA), hat dabei aber weniger Kompetenzen als das Central Arbitration Committee (CAC) in Großbritannien. Vier EBR-Mitglieder des US-Telekommunikationskonzerns Verizon hatten geklagt, ein Betriebsrat als Kollektivorgan ist in Irland nicht klageberechtigt. Der EBR von Verizon arbeitet auf Basis der subsidiären Bestimmungen und wird von der EWC Academy beraten (siehe Bericht in den EBR-News 2/2021).

 

Die zentrale Leitung von Verizon setzt sich bewusst und regelmäßig über die Rechte des EBR hinweg und versucht, dessen Arbeit zu behindern. Vor der Verlegung des Rechtssitzes nach Irland musste Verizon im Oktober 2020 in Großbritannien 40.000 £ zahlen, die höchste jemals verhängte Geldstrafe in einer EBR-Angelegenheit in ganz Europa (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020). Mit dem Brexit hat sie ihre Verweigerunghaltung weiter verschärft, da es in Irland keinerlei Rechtsprechung gibt und das irische EBR-Gesetz als defizitär gilt. Seit Mai 2022 läuft daher ein Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen Irland (siehe Bericht in den EBR-News 2/2022). Im Februar 2023 fand dazu eine Anhörung im irischen Parlament statt (siehe Bericht in den EBR-News 1/2023). Bei der Klage vor der WRC ging es um drei Komplexe:

 

1. Welche Schulungen dürfen EBR-Mitglieder besuchen?

Die WRC lehnte die Kostenerstattung für die vier EBR-Mitglieder ab, die im September 2021 an der Fachtagung der EWC Academy in Hamburg (siehe Bericht in den EBR-News 3/2021) teilgenommen hatten. Es war die erste Schulungsveranstaltung, die der EBR in der laufenden Amtszeit beantragte. Kurz zuvor hatte die zentrale Leitung auf eigene Initiative und ohne Abstimmung mit dem EBR eine Schulung von einer arbeitgebernahen Rechtsanwaltskanzlei durchführen lassen. Für die WRC war dies Grund genug, den EBR-Mitgliedern Schulungen ihrer Wahl zu verweigern. Sollte diese Entscheidung rechtskräftig werden, wäre die Funktionsfähigkeit des EBR als vom Arbeitgeber unabhängiges Organ der Interessenvertretung in Frage gestellt.

 

2. Die Bezahlung von Sachverständigen

Die WRC kürzte die Beratungsrechnungen pauschal um 50%, ohne zu spezifizieren, welche Stunden anerkannt werden und welche nicht. Sollte die Entscheidung rechtskräftig werden, muss der EBR aus einer nicht vorhandenen Kasse mehrere Tausend € zahlen, was in Widerspruch zu den Intentionen der EU-Richtlinie steht. Die WRC bestätigt damit (sicher unbeabsichtigt) die Vorbehalte der Europäischen Kommission, wonach in Irland kein ausreichender Zugriff auf Sachverständige möglich ist. Die Kürzung von EBR-Beratungsrechnungen um 50% hat es bei Gerichtsentscheidungen in anderen EU-Ländern bisher noch nicht gegeben. In Großbritannien wurde die Bezahlung von Sachverständigen zum ersten Mal im Januar 2016 grundsätzlich geklärt (siehe Bericht in den EBR-News 1/2016). Diese Klarstellung steht Irland noch bevor. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung wurde gegen die Entscheidungen zu 1. und 2. am 23. Mai 2023 Berufung beim Arbeitsgerichtshof eingelegt.

 

3. Unzulässige Benachteiligung eines EBR-Mitglieds

Die WRC sprach einem tschechischen EBR-Mitglied eine Entschädigung in Höhe von 4.000 € zu, weil er wegen Teilnahme an der Hamburger Fachtagung vom Management persönlich unter Druck gesetzt worden war. Dies zeigt jedoch nur die Spitze eines Eisbergs, mit welchen Methoden das Management von Verizon gegen einen Betriebsrat vorgeht, der sich als Organ der Arbeitnehmervertretung und nicht als ein vom Management dirigiertes Sub-Komitee versteht. Die Entscheidung zu 3. ist rechtskräftig.

 

Pressebericht über das Urteil

Die Entscheidungen im Wortlaut

Kommentar der Anwaltskanzlei des Arbeitgebers

Kommentar der EWC Academy

Das irische EBR-Gesetz im Wortlaut


Diskussion mit Fachleuten über irisches EBR-Recht


Vom 29. bis 31. März 2023 fand erstmals eine Tagung der EWC Academy in Dublin statt (auf dem Foto einige Teilnehmer beim Besuch des historischen Guiness Storehouse). Die Veranstaltung schloss an die bisherigen sechs Fachtagungen in London an und folgt der Verlegung vieler Europäischer Betriebsräte vom britischen zum irischen Recht (siehe Bericht in den EBR-News 1/2021). Die Referenten waren Roland Erne, Professor für Arbeitsbeziehungen am University College Dublin sowie Anthony Kerr, Professor an der Sutherland School of Law und leitender Anwalt der irischen Rechtsanwaltskammer.

 

Dabei ging es um Grundlagen des irischen Systems der Arbeitsbeziehungen, die Rolle der Workplace Relations Commission (WRC), des Arbeitsgerichtshofs und die Regeln des Schiedsverfahrens in EBR-Angelegenheiten. Die Besonderheit in Irland ist, dass weder die WRC als erste Instanz noch der Arbeitsgerichtshof als Berufungsinstanz offizieller Teil des Justizsystems sind. Niemand (auch nicht der Vorsitzende des Arbeitsgerichtshofs) muss über eine juristische Qualifikation, Ausbildung oder Erfahrung verfügen. Beide Instanzen sind Teil der Rechtspflege, aber ihre Entscheidungen können nicht vollstreckt werden. Hierzu sind nur die Amtsgerichte ("District Court") befugt, bei denen eine Vollstreckungsklage eingebracht werden muss. Entscheidungen des Arbeitsgerichtshofs können beim High Court angefochten werden, jedoch nur in "Rechtsfragen". Das Verfahren vor dem High Court kann nicht durch einfache Rechtsanwälte geführt werden, sondern setzt zusätzlich die Beauftragung eines Barristers voraus, eines besonderen Berufsstandes für höhere Gerichte. Dadurch können Kosten von über 100.000 € entstehen. Bisher ist in Irland ungeklärt, wer solche Kosten für den EBR übernimmt.

 

Lange Verfahrensdauer bereits in der ersten Instanz

 

Eine neue Studie über die Workplace Relations Commission ergab im März 2023, dass zwischen der Einreichung einer Klage und dem erste Anhörungstermin durchschnittlich 14 Monate vergehen. Nach der mündlichen Anhörung müssen Kläger dann noch einmal knapp fünf Monate auf das Urteil warten. Im Kalenderjahr 2022 verbesserte sich die Lage deutlich: die Wartezeit bis zur mündlichen Anhörung verringerte sich auf vier Monate und das Urteil wurde nach weiteren neun Wochen verkündet. Die WRC ist eine relativ junge Institution, gegründet im Oktober 2015 (siehe Bericht in den EBR-News 2/2015).

  5. Investitionen in Halbleiter und Elektromobilität

Gigantische Investitionen in die Chipherstellung in Europa


Der US-Halbleiterhersteller Intel, der bei Mikroprozessoren für PC einen Marktanteil von weltweit 80% hält, wird 80 Mrd. € in Europa investieren, um Problemen in den Lieferketten zu begegnen. Als Gegengewicht zu Standorten in den USA und Asien soll in Europa eine durchgängige Wertschöpfungskette für Halbleiterproduktion entstehen. In Ostdeutschland werden zwei neue Giga-Fabriken in Magdeburg gebaut, in Frankreich ein neues Zentrum für Forschung und Entwicklung und in Polen eine große Chipfabrik in Breslau, in der Mikroprozessoren montiert und getestet werden. Auch die Fertigung in Irland, Italien und Spanien wird ausgebaut.

 

Für den Bau der zwei neuen Chipfabriken in Magdeburg ("Silicon Junction") wurden am 19. Juni 2023 die Verträge unterzeichnet, Baubeginn ist Ende 2023 und die Produktion soll 2027 starten. Es ist mit 30 Mrd. € die grösste Einzelinvestition eines ausländischen Unternehmens der deutschen Geschichte. Neben 3.000 High-Tech-Arbeitsplätzen wird mit 7.000 neuen Arbeitsplätzen bei Zulieferern gerechnet. Die Investitionssumme ist weit höher als beim Bau der Gigafactory von Tesla in der Nähe von Berlin. Langfristig könnten die zwei Magdeburger Chipfabriken um sechs weitere ergänzt werden. Intel hat sich bereits entsprechende Optionen gesichert. Auch der Fabrikneubau in Breslau hat eine gewaltige Dimension, denn es ist mit 4,6 Mrd. € die größte ausländische Investition in der Geschichte Polens. Bis 2027 sollen über 2.000 hochqualifizierte Arbeitsplätze entstehen, hinzu kommen Tausende weitere Arbeitsplätze bei Zulieferern.

 

Pressemitteilung von Intel

Pressebericht über die Investition in Deutschland

Pressebericht über die Investition in Polen

 

Intel hat weltweit 130.000 Beschäftigte und seit 1996 einen Europäischen Betriebsrat, ein gemischtes Gremium aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern auf Basis einer "freiwilligen" Vereinbarung, die nicht der EU-Richtlinie unterliegt (Intel European Employee Forum). Obwohl sich die Europazentrale in München befindet, arbeitet der EBR nach luxemburgischem Recht. Bei der Größenordnung der neuen Fabriken in Deutschland wird sich irgendwann die Frage stellen, ob Intel die deutsche Mitbestimmung im Aufsichtsrat akzeptiert. Das US-Unternehmen Tesla hatte rechtzeitig vor Baubeginn seiner neuen Automobilfabrik bei Berlin eine Europäische Gesellschaft (SE) gegründet, um den Aufsichtsrat frei von Arbeitnehmervertretern zu halten (siehe Bericht in den EBR-News 4/2019). Auch bei der Gründung des Betriebsrates in der neuen Tesla-Fabrik wurde die Gewerkschaft IG Metall benachteiligt.

 

Pressebericht über den Betriebsrat bei Tesla


Elektromobilität: größte Investitionen der ungarischen Geschichte


Als verlängerte Werkbank der westeuropäischen Automobilindustrie konnte Ungarn viele Investoren anziehen, die Branche steht für 5% der ungarischen Wirtschaftsleistung. Um diesen Vorteil nicht zu verspielen, bereitet sich die Regierung auf eine Zukunft ohne Verbrennungsmotor vor und fördert gezielt die Batterieproduktion. 2017 wurde die erste Batteriefabrik für E-Mobilität in Europa in Göd (nördlich von Budapest) eröffnet, heute gibt es 14 Fabriken, und es sollen über 20 werden. Ende 2021 zählte man 14.000 Arbeitsplätze in der Batteriefertigung und es werden bald 30.000 sein. Ungarn will zum drittgrößten Batterieproduzenten der Welt werden.

 

Bisher waren Samsung und die SK Group aus Südkorea die größten Investoren für E-Mobilität, aber seit einigen Monaten wird in Debrezin im Osten des Landes an der rumänischen Grenze gebaut. Dort entsteht für 2 Mrd. € das modernste Werk der Welt, wo BMW ab 2025 ausschließlich vollelektrische Fahrzeuge produziert. In der Nachbarschaft errichtet das chinesische Unternehmen CATL eine der größten Batteriefabriken Europas auf einer Fläche von 280 Fußballfeldern mit einer Jahreskapazität von 100 Gigawattstunden (GWh) für eine Mio. E-Autos. Eine im Februar 2023 erschienene Studie des Budapester Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung beleuchtet die Entwicklung der Branche in Ungarn und die gewerkschaftlichen Herausforderungen. Ungarische Gewerkschaften bekommen beim Umbau der europäischen Industriegesellschaft und der Sicherstellung von Sozialstandards eine bedeutende Rolle.

 

Pressebericht über den Fabrikneubau

Die Studie im Wortlaut

Arbeitsbeziehungen und Gewerkschaften in Ungarn

  6. Verstaatlichung von Pflegekonzern beendet Union Busting

Rüde Managementmethoden zur Steigerung der Rendite


Am 1. Februar 2023 übernahm die Staatsbank Caisse des Dépôts die Kapitalmehrheit des französischen Pflegekonzerns Orpea, der 72.000 Beschäftigte in 23 Ländern hat. Dessen Schulden betrugen zu diesem Zeitpunkt 9,5 Mrd. €. Am 12. Mai 2023 wurde dann ein Verlust von 4 Mrd. € für das Geschäftsjahr 2022 bekanntgegeben, im Jahr zuvor wurde noch ein Gewinn von 65 Mio. € erwirtschaftet. Eine europaweite Restrukturierung ist jetzt unumgänglich.

 

Orpea hat einen Immobilienbestand von 7,4 Milliarden €, dessen Aufbau über öffentliche Gelder und Einnahmen aus Altersheimen erfolgte. Nach einer Untersuchung der Gewerkschaften CGT und CFDT lief dies über Steueroasen, insbesondere Luxemburg und die Britischen Jungferninseln. Später sollte das Immobilienvermögen weiterverkauft werden, was höhere Mieten für Altersheime bedeutet, ohne die Verschuldung zu verringern. Das gesamte Geschäftsmodell von Orpea geht zu Lasten des Personals, der Gehälter und der Qualität der Pflege - so die Gewerkschaften.

 

Investigativjournalist deckt den Skandal auf

 

Der Niedergang von Orpea begann am 24. Januar 2022 mit einem plötzlichen Verfall des Aktienkurses, nachdem ein Buch unter dem Titel "Les Fossoyeurs" (die Totengräber) Missstände aufgedeckt hatte. Orpea wollte dem Autor zuvor 15 Mio. € zahlen, damit er auf die Veröffentlichung verzichtet. Wenige Tage später trat der Vorstandsvorsitzende zurück. Gegen ihn laufen inzwischen Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Insiderhandel. Eine Untersuchung der Sozialbehörden stellte im März 2022 schwerwiegende Mängel in den Altersheimen fest, was zur Rückzahlung von 56 Mio. € an staatlichen Zuschüssen führte, die von Orpea zweckentfremdet wurden. Im April 2022 leitete dann die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen der Misshandlung von Altenheimbewohnern ein. Im Juni und November 2022 fanden Hausdurchsuchungen bei Orpea statt.

 

Druck auf Betriebsräte und Bespitzelung

 

Ein derartiges Geschäftsgebahren führt zwangsläufig zu Konflikten mit den Arbeitnehmervertretungen. Vor der Verstaatlichung machte das damalige Management durch gewerkschaftsfeindliches Verhalten auf sich aufmerksam. In Frankreich wurden Arbeitnehmervertreter der CGT ausspioniert und in Belgien gab es Streiks wegen zu niedriger Personalausstattung. Die deutsche Klinikgruppe Celenus, die zu Orpea gehört, lieferte sich eine jahrelange Auseinandersetzung mit der Gewerkschaft ver.di. Gegen die EBR-Vorsitzende aus Bremen wurden innerhalb von zwei Jahren fast 70 Gerichtsverfahren geführt. Das Landesarbeitsgericht Bremen sprach ihr kürzlich 15.000 € Schadensersatz wegen Diskriminierung und Mobbing zu. Es verwundert nicht, dass auch die Verhandlungen über die Bildung eines Europäischen Betriebsrats scheiterten (siehe Bericht in den EBR-News 4/2020).

 

Das neue Management bemüht sich jetzt um einen fairen Umgang mit Arbeitnehmervertretungen. Alle Gerichtsverfahren gegen die EBR-Vorsitzende wurden zurückgenommen und die Betriebsratswahlen in Frankreich korrekt durchgeführt. Ein Gericht hatte die letzten Wahlen wegen Manipulation und Betrug annulliert. In Polen laufen erstmals Tarifverhandlungen für alle Standorte, die das frühere Management noch bekämpft hatte. Am Beispiel Orpea zeigt sich jedoch ein grundlegendes Problem: die negativen Auswirkungen privatwirtschaftlicher Konzepte in der Pflegebranche. Zwei Gewerkschaftsdachverbände legten hierzu am 24. April 2023 eine internationale Analyse vor.

 

Ausführliche Dokumentation der Ereignisse

Bericht über die Strategie des neuen Managements

Bericht über die deutsche EBR-Vorsitzende

Bericht über die Tarifverhandlungen in Polen

Zusammenfassung und Download der internationalen Analyse

  7. Neue EBR-Vereinbarungen

SE-Vereinbarung als Grundlage für die Fortsetzung des EBR


Am 16. Januar 2023 wurde am Sitz von bioMérieux in Marcy-l'Étoile (bei Lyon) eine überarbeitete EBR-Vereinbarung unterzeichnet. Das Familienunternehmen bietet diagnostische Lösungen (Reagenzien, Geräte, Software und Service) und hat weltweit 11.000 Beschäftigte, davon 4.000 in Frankreich. Im Zuge einer geplanten SE-Umwandlung wurde ein Besonderes Verhandlungsgremium gebildet, um eine SE-Vereinbarung auszuhandeln. Nach dem Abschluss der Verhandlungen sagte die zentrale Leitung die SE-Umwandlung jedoch ab.

 

Die ausgehandelte Vereinbarung gilt trotzdem, und zwar für den Europäischen Betriebsrat, der 2008 gegründet wurde. Er hat 24 Mitglieder aus 16 EU-Ländern, davon sechs aus Frankreich und je zwei aus Deutschland, Spanien und Italien. Der Vorsitz liegt beim Arbeitgeber, die Arbeitnehmerseite wählt einen Sekretär, der aus dem größten Land kommen muss (Frankreich), und einen engeren Ausschuss aus weiteren drei Mitgliedern. Reguläre EBR-Sitzungen finden dreimal pro Jahr statt.

 

Weiterhin gibt es außerordentliche Sitzungen, wenn in zwei Ländern mindestens 2% der jeweiligen Belegschaft von einer Maßnahme betroffen sind. Diese Schwelle ist relativ niedrig, denn außerhalb Frankreichs hat kein Land mehr als 300 Beschäftigte. Wie in Frankreich üblich, ist die Unterstützung durch Sachverständige sehr weitreichend möglich. Einen Monat nach der außerordentlichen Sitzung findet eine zweite Sitzung statt, um die Stellungnahme des EBR zu beraten, die spätestens 15 Tage danach übermittelt werden muss. Stellungnahmen werden immer in einer Plenarsitzung beraten, nicht im engeren Ausschuss - ein typisches Merkmal von SE-Vereinbarungen.

 

Die EBR-Vereinbarung im Wortlaut


Indisches IT-Unternehmen gründet EBR nach irischem Recht


Am 22. März 2023 konstituierte sich in Dublin der Europäische Betriebsrat von Wipru. Das IT- und Outsourcing-Unternehmen mit Sitz in der indischen IT-Metropole Bengaluru hat 250.000 Arbeitnehmer, davon 30.000 in Europa. Im neuen EBR vertreten 15 Delegierte 5.900 Beschäftigte in 18 EU-Ländern und Norwegen, das Vereinigte Königreich mit 10.000 Beschäftigten und die Schweiz sind nicht dabei. Obwohl Rumänien mit 1.800 Arbeitnehmern das größte EU-Land ist, wurde der EBR in Irland angesiedelt, wo es 400 sind. Nach rumänischem Recht gibt es noch keinen einzigen EBR. Zweitgrößtes Land ist Deutschland mit 1.200 Beschäftigten, wo am 15. September 2022 in Frankfurt am Main die EBR-Vereinbarung unterzeichnet wurde.

 

Die jährlichen EBR-Sitzungen werden gemeinsam vom gewählten EBR-Vorsitzenden und der zentralen Leitung geleitet. Dazwischen treffen die fünf Mitglieder des engeren Ausschusses dreimal im Jahr mit der zentralen Leitung zusammen. Hinzu kommen Sondersitzungen, wenn mindestens 50 Beschäftigte in je zwei Ländern von einer geplanten Maßnahme betroffen sind. In diesen Fällen wird zuerst über den Zeitplan verhandelt, das Konsultationsverfahren soll normalerweise jedoch nicht länger als einen Monat dauern. Stellungnahmen darf der engere Ausschuss nur abgeben, wenn er vom EBR dazu ermächtigt wurde. Unterlagen werden auf Englisch zur Verfügung gestellt und nur auf schriftlichen Antrag eines EBR-Mitglieds in dessen Landessprache übersetzt.

 

Jeder Delegierte hat 24 Stunden Freistellung pro Jahr zusätzlich zu den Sitzungszeiten, die Mitglieder des engeren Ausschusses 60 Stunden. Hinzu kommen vier Tage Schulungsanspruch pro Amtszeit und ein Einführungstraining in der ersten EBR-Sitzung. Die Regeln zur Vertraulichkeit sind wesentlich härter formuliert als im irischen EBR-Gesetz. Der EBR kann zwei Sachverständige hinzuziehen, davon wird einer vom Unternehmen bezahlt. Sie dürfen an Sitzungen mit dem Management teilnehmen, aber sich nur zu Wort melden, wenn das Management zustimmt. Bei Meinungsverschiedenheiten ist eine interne Schlichtung vorgesehen. Kommt es innerhalb von drei Wochen nicht zu einer Einigung, kann die Workplace Relations Commission angerufen werden. Wird die EBR-Vereinbarung gekündigt und innerhalb von zwei Jahren keine neue Vereinbarung unterzeichnet, gelten automatisch die subsidiären Bestimmungen des irischen EBR-Gesetzes.

 

Pressemitteilung des Unternehmens

 

Bisher drei andere indische Unternehmen mit EBR

 

Schon seit vielen Jahren verfügen zwei Stahlkonzerne mit Hauptsitz in Indien über einen Europäischen Betriebsrat: ArcelorMittal nach luxemburgischem Recht und Tata Steel nach deutschem Recht. Für die Stahl- und Aluminiumwerke der Gupta Family Group Alliance (GFG Alliance) wurde im November 2021 ein EBR nach tschechischem Recht gebildet (siehe Bericht in den EBR-News 1/2022).

  8. Jüngste SE-Umwandlungen

Enge Zeitvorgaben für Konsultationsverfahren


Seit dem 15. März 2023 ist TeamViewer eine Europäische Gesellschaft (SE). Das Softwareunternehmen mit Sitz in Göppingen hat 1.400 Beschäftigte (davon 600 außerhalb Deutschlands) und ist spezialisiert auf digitale Vernetzung von Computern, Mobiltelefonen, Industriemaschinen und Robotern. Mit der SE-Umwandlung konnte sichergestellt werden, dass die Anteilseigner im Aufsichtsrat unter sich bleiben. Mitbestimmung ist auf Dauer ausgeschlossen.

 

Der SE-Betriebsrat hat elf Mitglieder, die einmal pro Jahr zu einer Präsenzsitzung zusammenkommen. Daran können zwei externe Gewerkschaftsvertreter teilnehmen. Der fünfköpfige geschäftsführende Ausschusses darf zwei interne Präsenzsitzungen pro Jahr durchführen. Beschlüsse sind auch mittels Telefon- oder Videokonferenz möglich. Im Falle von Umstrukturierungen findet eine außerordentliche Unterrichtung und Anhörung statt, wenn mindestens 35 Arbeitnehmer in einem einzelnen Land oder mehr als 20 in zwei Ländern betroffen sind. Die Stellungnahme des SE-Betriebsrates muss innerhalb von zwei Geschäftstagen vorliegen. Will die zentrale Leitung dessen Vorschlägen nicht folgen, kann er innerhalb eines weiteren Geschäftstages eine Sondersitzung beantragen, um doch noch eine Einigung herbeizuführen. Der SE-Betriebsrat hat Besuchsrecht in allen Ländern ohne Arbeitnehmervertretung. Alle übrigen Merkmale der SE-Beteiligungsvereinbarung, die am 19. Januar 2023 unterzeichnet wurde, entsprechen der Auffangregelung des Gesetzes.

 

Der Umwandlungsplan im Wortlaut

Pressemitteilung zur SE-Umwandlung


Keine Mitbestimmung im Aufsichtsrat, aber umfangreiche Rechte für SE-Betriebsrat


Seit dem 20. März 2023 firmieren die börsennotierten Jost Werke in Neu Isenburg (bei Frankfurt) als Europäische Gesellschaft (SE). Der Hersteller von Systemen für Nutzfahrzeuge hat 900 Beschäftigte in Deutschland und keine Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Dies wird auch in Zukunft so bleiben, die SE-Beteiligungsvereinbarung vom 11. November 2022 enthält keinen Passus zum Aufsichtsrat. Der künftige SE-Betriebsrat vertritt 2.300 Beschäftigte in zwölf Ländern (inklusive Großbritannien). Von 14 Mandaten entfallen vier auf Deutschland und je zwei auf Polen, Schweden und Ungarn.

 

Während viele Merkmale des Vereinbarungstextes der Auffangregelung der SE-Richtlinie entsprechen, gehen die Zuständigkeiten des SE-Betriebsrates darüber hinaus. Er kann Anhörungen zu folgenden Themen initiieren: Datenverarbeitung, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Aus- und Weiterbildung, Chancengleichheit sowie Umweltschutz. Er kann auch Ausschüsse bilden, die eigenständig Aufgaben wahrnehmen. Die Sitzungen der Ausschüsse finden allerdings online statt. Von den zwei jährlichen Präsenzsitzungen des SE-Betriebsrates kann eine im Ausland stattfinden. Er hat das Recht, eine dritte Sitzung pro Jahr ohne Beteiligung der zentralen Leitung per Videokonferenz durchzuführen. An allen Sitzungen des SE-Betriebsrats und des geschäftsführenden Ausschusses nimmt ein Koordinator der IG Metall teil. Die Mitglieder des SE-Betriebsrates haben in allen europäischen Standorten ein Zutrittsrecht, hierfür gibt es aber keine Reisekostenerstattung und keine Freistellung.

 

Pressemitteilung zur SE-Umwandlung


Ruhender SE-Betriebsrat und Einfrieren der Mitbestimmung im Aufsichtsrat


Seit dem 18. April 2023 firmiert Bickhardt Bau in Kirchheim (Hessen) als Europäische Gesellschaft (SE). Mit 1.887 Arbeitnehmern in Deutschland konnte damit kurz vor Erreichen der 2.000er Grenze die Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat festgeschrieben und die paritätische Mitbestimmung auf Dauer ausgeschlossen werden. Eine Präsenz im Ausland gibt es derzeit nur in Polen mit 61 Beschäftigten. Die am 17. Oktober 2022 nach knapp drei Wochen Verhandlungen geschlossene SE-Beteiligungsvereinbarung gewährt der Arbeitnehmerseite zwei von sechs Aufsichtsratsmandaten.

 

Ein SE-Betriebsrat wird vorläufig nicht gebildet ("ruhend gestellt"), weil es in der SE angeblich keine grenzüberschreitenden Angelegenheiten gibt. Er kann allerdings auf Antrag eines größeren Landes jederzeit aktiviert und mit einfacher Mehrheit wieder in den Ruhezustand zurückversetzt werden. Ihm gehören höchstens elf Mitglieder an, wobei kleine Länder nicht automatisch ein Mandat erhalten. Er führt bis zu drei Sitzungen im Jahr durch, die mit Zustimmung des Vorsitzenden als Videokonferenz stattfinden können. Alle anderen Merkmale orientieren sich eng an der Auffangregelung des Gesetzes.

 

Pressebericht über die SE-Umwandlung

  9. Der Blick über Europa hinaus

Siemens-Betriebsräte zu Besuch in den USA


Einmal jährlich treffen sich die sechs bei Siemens in den USA und Kanada vertretenen Gewerkschaften zum Erfahrungsaustausch und lassen sich vom nordamerikanischen Management über die Geschäftslage und Beschäftigungsentwicklung informieren. Beim letzten Treffen am 12. und 13. April 2023 in Chicago nahm auch eine Delegation der Europäischen Betriebsräte von Siemens und Siemens Energy teil. Gemeinsam mit den Gewerkschaften in den USA wollen sie die Anerkennung lokaler Arbeitnehmervertretungen fördern und Union Busting verhindern.

 

Bericht von dem Treffen


Union Busting verstößt gegen ILO-Normen


Am 8. Mai 2023 reichte der US-Gewerkschaftsbund AFL-CIO eine Beschwerde bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf gegen die Regierung der USA ein, da sie der weitverbreiteten Praxis der systematischen Zerschlagung von Gewerkschaften (Union Busting, siehe Bericht in den EBR-News 3/2010) keinen Einhalt gebietet. Den aktuellen Anlass dafür liefert die größte Kaffeehauskette der Welt. Obwohl Beschäftigte in über 280 Starbucks-Filialen eine gewerkschaftliche Vertretung fordern, ist es wegen der Weigerung des Managements noch nirgends dazu gekommen. 200 aktive Gewerkschaftsmitglieder wurden entlassen und den Beschäftigten mit Repressalien gedroht, falls sie sich in einer durch die Nationale Arbeitsbehörde (NLRB) organisierten Abstimmung für die Anerkennung einer Gewerkschaft als Tarifpartei aussprechen (siehe Beispiel in den EBR-News 4/2015). Damit werden international anerkannte Normen wie Koalitionsfreiheit und Recht auf Tarifverhandlungen untergraben, auf die sich Starbucks auf der eigenen Homepage selbst beruft: "Unser globales Engagement für die grundlegenden Menschenrechte ist ein zentraler Bestandteil unserer Geschäftstätigkeit und der Art und Weise, wie wir unsere Mitarbeiter einbeziehen."

 

Bericht über die Beschwerde

Die Beschwerde im Wortlaut


Automobilindustrie in Afrika - ein schlafender Riese


Das Kompetenzzentrum Arbeit und Gewerkschaften der Friedrich-Ebert-Stiftung für Subsahara-Afrika mit Sitz in Johannesburg legte am 16. Juni 2023 eine Studie über die Automobilindustrie, die Arbeitsbeziehungen und Arbeits- und Gesundheitsschutz in drei Ländern vor: Südafrika, Ghana und Kenia. Das Forschungsteam erläutert, wie das neue deutsche Lieferkettengesetz zur Sicherstellung sozialer Standards in der Automobilindustrie Afrikas beitragen kann. Die Studie beschreibt die aktuelle Debatte in deutschen Autokonzernen, die Rolle von Betriebsräten und Gewerkschaften und plädiert für gewerkschaftliche Netzwerke zwischen Deutschland und Afrika.

 

Trotz 1,4 Milliarden Einwohnern, ein knappes Fünftel der Weltbevölkerung, steht Afrika nur für 1% der weltweiten Autokäufe. 2021 wurden 1,1 Mio. Neufahrzeuge verkauft. Südafrika, Ägypten und Marokko sind die größten Märkte mit einem Großteil der Herstellung. Doch 2035 sollen in Afrika bereits 5 Mio. Neufahrzeuge verkauft werden. In Ghana entsteht das erste Automobilcluster in Westafrika. Auch die Elektromobilität ist im Kommen, vor allem in Ostafrika. Die Entwicklung könnte ähnlich verlaufen wie bei Telefonen: Weil es in Afrika kaum Festnetzverbindungen gab, ist der Durchbruch der Mobiltelefonie umso schneller erfolgt.

 

Bericht über die Arbeit des Kompetenzzentrums

Die Studie im Wortlaut

Kurzfassung der Studie

Bericht über Elektromobilität in Ostafrika

  10. Interessante Webseiten

Wurden Sie ungerecht behandelt?


So fragt das Europäische Netzwerk der Gleichstellungsstellen auf seiner Webseite. In diesem Fall kann man sich in seinem Land an eine Gleichstellungsstelle wenden. Sie unterstützen und schützen Menschen, die einer Diskriminierung ausgesetzt sind. Equinet als Dachverband koordiniert deren europäische Zusammenarbeit in Ländern der EU und darüber hinaus.

 

Die Webseite von Equinet

Überblick üder die nationalen Gleichstellungsstellen

Beispiele für die Arbeit der Gleichstellungsstellen


Sicheres und gesundes Arbeiten im digitalen Zeitalter


Im Oktober 2023 startet eine Kampagne der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz mit Sitz in Bilbao (Spanien) zum Thema "Gesunde Arbeitsplätze" mit Schwerpunkt digitale Technologien am Arbeitsplatz. Auf der neuen Webseite steht eine Fülle von Ressourcen und Informationen zur Verfügung: über Nutzen und Risiken der Digitalisierung am Arbeitsplatz und wie sichergestellt werden kann, dass die Beschäftigten gesund bleiben.

 

Die Webseite der Kampagne

Überblick über die Arbeitsbereiche der Agentur


Berichte aus der Arbeitswelt der Schweiz


Alle zwei Wochen erscheint die Workzeitung, die Mitgliederzeitschrift der größten Gewerkschaft in der Schweiz, Unia. Die Berichte sind auch auf der Webseite der Zeitschrift zu finden. Dort gibt es zwei Rubriken zu Europa-Fragen.

 

Die Webseite der Workzeitung

Die erste Rubrik zu Europa-Themen

Die zweite Rubrik zu Europa-Themen


Weltweites Engagement für existenzsichernde Löhne in der Textilindustrie


Die Stiftung ACT (Action, Collaboration, Transformation) ist eine Initiative von 19 Textilhandelsketten, die mit dem Internationalen Industriegewerkschaftsbund (industriALL) für existenzsichernde Löhne in den Produktionsländern eintreten. Sie wollen durch verantwortungsvolle Einkaufspraktiken die Bekleidungs-, Textil- und Schuhindustrie umgestalten und Tarifverhandlungen auf Branchenebene in Ländern wie Kambodscha oder Bangladesch fördern. Wenn Flächentarifverträge vorhanden sind, soll das Land zu einem bevorzugten Beschaffungsziel deklariert und langfristige Partnerschaften aufgebaut werden.

 

Überblick über die Arbeit der Stiftung ACT

Die Webseite der Initiative

  11. Neue Publikationen

Warum gibt es in Belgien keine Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat?


Belgien ist eines der wenigen EU-Länder in Westeuropa, in denen es keine Unternehmensmitbestimmung gibt. Das Land ist eine mitbestimmungsfreie Insel zwischen den Niederlanden, Deutschland, Luxemburg und Frankreich, die eine lange Tradition von Unternehmensmitbestimmung kennen, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. Die Studie ist Mitte März 2023 erschienen und untersucht die Entwicklungen in Belgien seit dem Zweiten Weltkrieg, die zu diesem Sonderweg geführt haben. Gefordert wurde Mitbestimmung immer von den christlichen Gewerkschaften, die weit größer als die sozialistischen Gewerkschaften sind (siehe Bericht in den EBR-News 2/2012). Die Stärkung der Mitbestimmung in Frankreich und Luxemburg während der letzten Jahre (siehe Bericht in den EBR-News 3/2015) ist an Belgien vorbeigegangen. Zu den Besonderheiten Belgiens gehört auch, dass der Betriebsrat je zur Hälfte aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern zusammengesetzt ist und dass es keine Gesamt- oder Konzernbetriebsräte gibt.

 

Weitere Informationen über das Arbeitspapier

Download des Arbeitspapiers


Inflation begünstigt Arbeitskämpfe in Deutschland und Europa


Am 26. April 2023 legte die Hans-Böckler-Stiftung die Arbeitskampfbilanz für 2022 vor, basierend auf Gewerkschaftsangaben und Medienberichten. Hohe Inflationsraten haben den Verteilungskonflikt deutlich intensiviert, gleichzeitig stärkt der zunehmende Fachkräftemangel die Verhandlungsposition für die Gewerkschaften. Der Bericht beschreibt ausgewählte Beispiele für Streiks in Deutschland, darunter Amazon, die Seehäfen und der Windanlagenhersteller Vestas. Ein Kapitel widmet sich dem Streikgeschehen in Großbritannien, wo es 2022 die größte Welle von Streiks seit Ende der 80er Jahre gab, und Frankreich mit massiven Protesten gegen die Anhebung des Rentenalters. In der internationalen Streikstatistik, die jährliche Ausfalltage zwischen 2012 und 2021 vergleicht, liegt Deutschland mit 18 Tagen pro 1.000 Beschäftigten im unteren Mittelfeld. Spitzenreiter ist Belgien mit 96 Streiktagen, gefolgt von Frankreich. In Österreich, der Schweiz und der Slowakei stellen Streiks die absolute Ausnahme dar. Das Europäische Gewerkschaftsinstitut (ETUI) hatte im März 2023 eine eigene europaweite Streikstudie vorgelegt.

 

Überblick über die Studie der Hans-Böckler-Stiftung

Download der Studie

Die europaweite ETUI-Studie (ab Seite 92)


Ratgeber für EBR-Rechtsstreitigkeiten


Am 9. Mai 2023 veröffentlichte der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) einen Leitfaden für Europäische Betriebsräte, die über die Einleitung von Gerichtsverfahren nachdenken. Dabei können rechtliche und praktische Hindernisse auftreten, die von Land zu Land völlig unterschiedlich sind: Hat der EBR Rechtspersönlichkeit? Kann der EBR selbst vor Gericht gehen oder nur einzelne seiner Mitglieder oder eine Gewerkschaft? Gibt es einstweilige Verfügungen bei EBR-Rechtsstreitigkeiten? Welche Kosten entstehen und wie können sie getragen werden? Welche alternative Streitbeilegung wäre in EBR-Fällen möglich? Diese Fragen haben eine hohe Brisanz, denn es gibt beim Zugang zur Justiz viele Mängel, wie die Europäische Kommission im Mai 2018 feststellte (siehe Bericht in den EBR-News 2/2018). Im Februar 2023 forderte das Europäische Parlament ein Gesetzgebungsverfahren, um diese Probleme zu beheben (siehe Bericht in den EBR-News 1/2023). Der Ratgeber ist in fünf Sprachen verfügbar.

 

Download des Ratgebers

Weitere Informationen und Download aller Sprachversionen


Die Stimme der Beschäftigten in weltweiten Lieferketten


Am 9. Mai 2023 erschien dieser Sammelband der Reihe "Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung", der sich mit sozialer Unternehmensverantwortung und den Instrumenten zur Durchsetzung von Arbeits- und Sozialstandards entlang globaler Lieferketten befaßt. Dazu gehören internationale Rahmenabkommen, die zwischen Gewerkschaften und multinationalen Unternehmen geschlossen werden, aber auch Lieferkettengesetze, CSR-Richtlinien und digitale Tools. Der Mitbestimmung durch Beschäftigte (Workers' Voice) wird von den Autoren eine große Bedeutung beigemessen, ein Kapitel spricht von "Partizipation als Risikomanagement" für Unternehmen. Seit Januar 2023 gilt in Deutschland das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz, um Schutz von Menschenrechten, das Verbot von Kinderarbeit und Zwangsarbeit sowie Umweltschutz in Lieferketten besser zu sichern. Hierzu ist kürzlich auch ein Gutachten über die Rolle von Betriebsräten erschienen (siehe Bericht in den EBR-News 1/2023).

 

Zeitschriftenbeitrag zum Thema

Weitere Informationen zum Sammelband

Download des Sammelbandes

  12. Die EWC Academy: Beispiele aus unserer Arbeit

Schulung bei EBR-Präsenztagung in der Schweiz


Vom 27. bis 30. März 2023 fand erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie eine Präsenztagung des Europaforums von Roche (REF) in Basel statt. Dabei führte die EWC Academy eine Schulung durch, die grundsätzliche Themen behandelte, z. B. neue Wege der Kommunikation zu installieren und die Zusammenarbeit innerhalb des REF zu verbessern. Hier können Erfahrungen der "virtuellen" Arbeitsweise der Pandemiezeit genutzt werden. Das Europaforum von Roche arbeitet auf Basis einer "freiwilligen" EBR-Vereinbarung, die noch nicht den Standards von Unterrichtung und Anhörung der Richtlinie von 2009 entspricht.


EBR- und SE-Grundseminar auf Schloss Montabaur


Nach längerer Corona-Pause fand vom 11. bis 14. April 2023 erstmals wieder das normalerweise jedes Jahr angebotene Seminar statt: die Schnuppertage für Neueinsteiger und ein vertieftes Training zur internen Kommunikation und zum Konsultationsverfahren für Fortgeschrittene. In der Pandemiezeit hatte sich ein großer Nachholbedarf für Präsenzveranstaltungen angestaut und so fanden 30 Betriebsratsmitglieder aus Deutschland und vier weiteren Ländern aus zwölf Unternehmen den Weg zum Schulungs- und Tagungszentrum direkt am ICE-Bahnhof auf halbem Weg zwischen Frankfurt und Köln. Zum ersten Mal wurde dieses Seminar simultan gedolmetscht. Das nächste Seminar auf Schloss Montabaur findet vom 2. bis 5. April 2024 statt.

 

Der ausführliche Seminarbericht


EBR-Schulung für US-Pharmakonzern nach irischem Recht


Am 13. Juni 2023 führte die EWC Academy eine Videoschulung für den EBR von Bausch + Lomb durch, dem seit einer neuen Amtszeit viele neue Mitglieder angehören. Die wichtigsten Länder sind Irland und Deutschland, wo sich Produktionsstätten für Kontaktlinsen und Arzneimittel der Augenheilkunde befinden. Seit dem Brexit unterliegt der EBR nicht mehr britischem, sondern irischem Recht. Die EWC Academy hatte den EBR schon häufiger beraten, z. B. über Folgen einer Akquisition (siehe Bericht in den EBR-News 1/2014).

  13. Aktuelle Seminartermine

Die EWC Academy und ihre Vorläuferorganisation führt seit Januar 2009 Tagungen und Seminare für Mitglieder von Europäischen Betriebsräten, SE-Betriebsräten und Besonderen Verhandlungsgremien durch. Bisher haben daran 906 Arbeitnehmervertreter aus 308 Unternehmen teilgenommen, viele von ihnen auch mehrfach. Das entspricht 25% aller transnationalen Betriebsratsgremien in Europa. Hinzu kommen zahlreiche Inhouse-Veranstaltungen und Gastvorträge bei anderen Veranstaltern.

 

Überblick über die bevorstehenden Seminartermine


Juristische Themen der EBR- und SE-Arbeit


Vom 14. bis 17. November 2023 findet erstmals wieder seit der Corona-Pandemie unser juristisches Seminar zum EBR-Recht statt, dieses Mal in Bremerhaven. Dort geht es um die juristischen Feinheiten einer EBR-Vereinbarung, um aktuelle Rechtsprechung und die Anwendung der EU-Standards in juristischen Zweifelsfällen. Einer der Referenten ist Ralf-Peter Hayen, ehemaliger Referatsleiter beim DGB-Bundesvorstand und Verfasser eines juristischen Kommentars zum deutschen EBR-Gesetz (siehe Bericht in den EBR-News 2/2019). Ein Baustein zum SE-Recht und die Umsetzung des Lieferkettengesetzes sind ebenfalls geplant.

 

Das Programm des Seminars


Seminar zum Datenschutz und zum Lieferkettengesetz


Vom 14. bis 17. November 2023 findet ein Datenschutzseminar in Bremerhaven statt. Dabei steht die Datenschutz-Grundverordnung der EU im Mittelpunkt, die seit 2018 gilt. In allen EU-Ländern sind die Regeln zur Verarbeitung personenbezogener Daten seither auf einem einheitlichen Niveau. In diesem Seminar wird zusätzlich zum Datenschutz auch die Umsetzung des Lieferkettengesetzes behandelt.

 

Das Programm des Seminars


16. Hamburger Fachtagung für Europäische und SE-Betriebsräte


Die nächste Hamburger Fachtagung findet am 29. und 30. Januar 2024 statt. Es werden wie immer die neuesten Entwicklungen in der EBR- und SE-Landschaft, Fallbeispiele ("best practice") aus einigen Unternehmen sowie aktuelle Gerichtsentscheidungen vorgestellt. Im Mittelpunkt der Fachtagung steht diesmal die weitere Entwicklung zur Revision der EBR-Richtlinie. Die Europäische Kommission hatte am 1. März 2023 angekündigt, ein Gesetzgebungsverfahren für eine neue EBR-Richtlinie zu starten, und zwar noch vor Jahresende 2023. Das Programm der Tagung wird nach der Sommerpause vorliegen.


EBR- und SE-Seminar auf Schloss Montabaur

Vom 2. bis 5. April 2024 findet wieder das jährliche Grundlagenseminar für die Mitglieder von Europäischen Betriebsräten, SE-Betriebsräten und Besonderen Verhandlungsgremien in Montabaur statt. Das Schloss liegt am ICE-Bahnhof auf halber Strecke zwischen Frankfurt und Köln. Dort werden mehrere Seminarbausteine für Einsteiger sowie Fortgeschrittene angeboten.

 

Bericht vom letzten Seminar in Montabaur


Inhouse-Veranstaltungen


Eine Übersicht über mögliche Themen für Inhouse-Veranstaltungen finden Sie hier:

 

Beispiele für Inhouse-Seminare

  14. Impressum

Die EBR-News werden herausgegeben von:

EWC Academy GmbH
Rödingsmarkt 52, D-20459 Hamburg
www.ewc-academy.eu

Verteiler der deutschsprachigen Ausgabe: 23.682 Empfänger
Verteiler der englischsprachigen Ausgabe: 4.269 Empfänger
Verteiler der französischsprachigen Ausgabe: 4.310 Empfänger

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