Nr. 4/2021
29. Dezember 2021    
Download als PDF Newsletter-Archiv
This newsletter in English This newsletter in English Cette newsletter en français Cette newsletter en français

Willkommen zur Ausgabe Nr. 4 / 2021 der EBR-News  

Inhalt

  1. Neue Regierung will Mitbestimmungsflucht stoppen
  2. Aktuelle Entwicklungen auf europäischer Ebene
  3. Berichte aus einzelnen Ländern
  4. Aktuelle Gerichtsentscheidungen
  5. Welche Sanktionen bei Verletzung der EBR-Rechte?
  6. Europäischer Betriebsrat befragt Kaufinteressenten
  7. Verhandlungen zur SE-Umwandlung
  8. Vertragspolitik Europäischer Betriebsräte
  9. Der Blick über Europa hinaus
10. Interessante Webseiten
11. Neue Publikationen
12. Die EWC Academy: Beispiele aus unserer Arbeit
13. Aktuelle Seminartermine
14. Impressum

 

  1. Neue Regierung will Mitbestimmungsflucht stoppen

Erstmals seit 2005 wieder Mitte-Links-Regierung in Deutschland

 

Am 8. Dezember 2021 wurde der bisherige Finanzminister Olaf Scholz (Foto) zum neuen Bundeskanzler gewählt. Damit stellen die Sozialdemokraten wieder den Regierungschef in Deutschland, und zwar erstmals in einer Drei-Parteien-Koalition mit den Grünen und den Freien Demokraten (nach den Parteifarben als "Ampel"-Koalition bezeichnet). Das "Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit" will "Mehr Fortschritt wagen", so der Titel des Koalitionsvertrages.

 

Den gesetzlichen Mindestlohn, der ab 1. Januar 2022 bei 9,82 € liegt, will die neue Regierung auf 12 € pro Stunde anheben. Dann hätte in Europa nur noch Luxemburg einen höheren Mindestlohn. Betreffen wird dies 8,6 Mio. Menschen, vor allem Frauen, Beschäftigte in Ostdeutschland und in Betrieben ohne Tarifbindung. Große Anstrengungen sind beim Klimaschutz und dem Bau neuer Wohnungen geplant. Digitalisierung der Verwaltung, Kindergrundsicherung, Ausbildungsplatzgarantie und stabile Renten sind ebenfalls im Koalitionsvertrag zu finden.

 

Der Koalitionsvertrag im Wortlaut

Bewertung des Koalitionsvertrages durch den Deutschen Gewerkschaftsbund

Aktuelle Studie zur Anhebung des Mindestlohns

 

Weiterentwicklung der EU zu einem föderalen Bundesstaat

 

Die im Mai 2021 begonnene Konferenz zur Zukunft Europas (siehe Bericht in den EBR-News 2/2021) sollte nach Meinung der Koalitionsparteien in einen verfassungsgebenden Konvent münden und zur Weiterentwicklung zu einem föderalen europäischen Bundesstaat führen. Sie wollen das Europäische Parlament  stärken, EU-Rechtsstaatsinstrumente konsequenter und zeitnah durchsetzen (z. B. gegen Polen und Ungarn) und die Voraussetzungen für eine unabhängige Justiz sichern. Auf Seite 134 steht:

 

"Wir wollen demokratische Mitbestimmung auf europäischer Ebene und Europäische Betriebs-räte fördern und wirkungsvoll weiterentwickeln. Auch bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen von Gesellschaften müssen nationale Beteiligungsrechte respektiert und gesichert werden."

 

Die Stärkung Europäischer Betriebsräte und der Mitbestimmung in europäischen Unternehmen stand schon 2013 im Koalitionsvertrag der Großen Koalition (siehe Bericht in den EBR-News 4/2013), wurde jedoch nie umgesetzt.

 

Stärkung der Unternehmensmitbestimmung

 

Auf Seite 71 des neuen Koalitionsvertrages steht: "Die Mitbestimmung werden wir weiterentwickeln. Betriebsräte sollen selbstbestimmt entscheiden, ob sie analog oder digital arbeiten." Auf Seite 72 geht es weiter mit der Unternehmensmitbestimmung, die die Koalition bewahren will:

 

"Missbräuchliche Umgehung geltenden Mitbestimmungsrechts wollen wir verhindern. Die Bun-desregierung wird sich dafür einsetzen, dass die Unternehmensmitbestimmung weiterentwickelt wird, sodass es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen kann (Einfriereffekt). Wir werden die Konzernzurechnung aus dem Mit-bestimmungsgesetz auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen, sofern faktisch eine echte Beherrschung vorliegt."

 

Damit hat eine Gesetzesinitiative der Grünen vom März 2021 (siehe Bericht in den EBR-News 2/2021) ihren Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden. Neben einer Änderung des SE-Beteiligungsgesetzes wäre aber auch die Umgehung deutscher Mitbestimmungsgesetze durch die Nutzung ausländischer Rechtsformen zu unterbinden (siehe Bericht in den EBR-News 2/2020). Nach der Veröffentlichung des Koalitionsvertrages haben arbeitgebernahe Rechtsanwaltskanzleien sofort reagiert und empfehlen jetzt neue Konstruktionen, die "rechtzeitig" umgesetzt werden sollten, um auch in Zukunft die Aufsichtsräte frei von Arbeitnehmervertretern zu halten. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung versuchte im November 2021 durch eine Pressekampagne, die Koalitionsverhandlungen noch zu beeinflussen. Jetzt will sich die Bundesregierung für dieses Thema "einsetzen". Eine verbindliche Absicht klingt anders.

 

Die Pressekampagne der Hans-Böckler-Stiftung

Zusammenfassung der SE-Fakten zur Mitbestimmungsvermeidung

Podcast zur Mitbestimmung im Koalitionsvertrag


Europäische Betriebsräte dürfen wieder Videokonferenzen durchführen

 

Seit dem 12. Dezember 2021 können Europäische Betriebsräte, SE-Betriebsräte, Besondere Verhandlungsgremien, Einigungsstellen und Wirtschaftsausschüsse wieder virtuell tagen. Das war schon einmal zwischen dem 1. März 2020 und dem 30. Juni 2021 zulässig. Auch diese neue Regelung zur Corona-Pandemie ist befristet, und zwar bis zum 19. März 2022. Die Sonderregelung gilt nur für Gremien, die deutschem Recht unterliegen. Arbeitgeber können Präsenzsitzungen nicht verbieten. Darüber entscheidet der Betriebsrat, was Gerichte bereits bestätigt haben (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020).

 

Seit Juni 2021 können alle Sitzungen deutscher Betriebsratsgremien als Video- und Telefonkonferenz durchgeführt werden, sofern nicht mindestens ein Viertel der Mitglieder des Betriebsrates widerspricht und sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Als Regelfall gelten jedoch Präsenzsitzungen. Die Möglichkeit zu virtuellen Sitzungen hat der Gesetzgeber nicht für europäische Betriebsratsgremien vorgesehen, dies kann allenfalls in der EBR- oder SE-Vereinbarung festgeschrieben werden. Anders als in Frankreich, wo Videositzungen aufgezeichnet werden dürfen (siehe Bericht in den EBR-News 3/2015), ist dies in Deutschland nicht zulässig.

 

Die Sonderregelung im Wortlaut (ab Seite 5170, Artikel 5 bis 9)

  2. Aktuelle Entwicklungen auf europäischer Ebene

Europäisches Parlament will Mindestlohn und mehr Tarifbindung

 

Am 25. November 2021 nahm das Europäische Parlament mit 443 Ja- und 192 Nein-Stimmen bei 58 Enthaltungen einen Bericht an, der eine höhere Tarifbindung und mehr Schutz für gewerkschaftliche Aktivitäten fordert. Wenn in einem EU-Land die tarifliche Abdeckung weniger als 80% beträgt, sollte die jeweilige Regierung einen klaren Zeitplan vorlegen und konkrete Maßnahmen ergreifen, um die 80%-Schwelle zu erreichen. Mit ihrer Forderung gehen die Parlamentarier über den Vorschlag der Europäischen Kommission hinaus, der 70% vorsah. In Deutschland liegt die Tarifbindung nur bei 52% mit sinkender Tendenz.

 

Die Diskussion begann im Januar 2020, als die Europäische Kommission ihre Überlegungen für einen angemessenen Mindestlohn der Öffentlichkeit vorstellte und die Sozialpartner dazu konsultierte (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020). Am 28. Oktober 2020 legte sie schließlich einen Richtlinienentwurf vor (siehe Bericht in den EBR-News 2/2021). Eine viel höhere Brisanz als der Mindestlohn hat jedoch die gezielte Förderung von Tarifverhandlungen, die ebenfalls in dem Gesetzestext enthalten ist. Sollte die 80%-Schwelle zugrunde gelegt werden, müssten 21 EU-Länder gesetzliche Maßnahmen ergreifen, z. B. durch Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen. Nur die skandinavischen Länder, Frankreich, Belgien, Italien und Österreich haben derzeit eine Tarifbindung über 80%. Zudem fordert die geplante EU-Richtlinie einen Ausbau der Kapazitäten der Sozialpartner, damit sie Tarifverhandlungen überhaupt führen können. Schwache Gewerkschaften, z. B. in Mittel- und Osteuropa, müssten durch staatliche Unterstützung handlungsfähig gemacht werden. Die Richtlinie soll Anfang 2022 verabschiedet werden und wird von den Arbeitgeberverbänden entschieden abgelehnt.

 

Der ursprüngliche Richtlinienvorschlag im Wortlaut

Bericht über die Änderungswünsche des Europäischen Parlaments

Die Änderungsvorschläge des Europäischen Gewerkschaftsbundes

Pressemitteilung des Europäischen Parlaments über die Abstimmung

Pressemitteilung der Metall- und Elektroarbeitgeberverbände

Hebel zur Stärkung der Tarifbindung in Deutschland


Besserer Schutz für 5,5 Millionen Plattformarbeiter

 

Am 9. Dezember 2021 legte die Europäische Kommission einen Richtlinienvorschlag vor, der die Arbeitsbedingungen bei digitalen Plattformen verbessern will. Beschäftigte, die bestimmte Kriterien erfüllen, sollen automatisch als Arbeitnehmer eingestuft werden, sofern die Plattform nicht das Gegenteil beweisen kann. Ihnen stünden dann Arbeitnehmerrechte und Sozialleistungen zu, und sie dürften Tarifverhandlungen führen. Die neue EU-Richtlinie soll europaweite Mindestanforderungen festlegen. In einigen Ländern gab es hierzu schon Gerichtsentscheidungen (siehe Bericht in den EBR-News 1/2021). Zuletzt urteilte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt am 10. November 2021, dass die Arbeitsmittel eines Fahrradkuriers (Fahrrad und Smartphone) vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden müssen.

 

Plattformarbeiter sollen auch besser vor algorithmischer Kontrolle geschützt werden und Auskünfte erhalten, wie ihre Arbeit bewertet wird und wie ihnen Aufträge zugewiesen werden. Algorithmische Entscheidungen mit erheblichem Einfluss auf Arbeitsbedingungen müssten zusätzlich immer von Menschen geprüft werden. Auch hierzu gab es bereits Gerichtsentscheidungen, zuletzt wurde im Juli 2021 ein Bußgeld von 2,6 Mio. € gegen den Essenslieferdienst Foodinho in Italien verhängt (siehe Bericht in den EBR-News 3/2021).

 

Pressemitteilung der Europäischen Kommission

Der Richtlinienvorschlag im Wortlaut

Pressebereicht über den Richtlinienvorschlag


Europäisches Parlament will Demokratie am Arbeitsplatz ausbauen

 

Am 16. Dezember 2021 votierten 476 Abgeordnete des Europäischen Parlaments in einer Plenarsitzung in Straßburg für eine Stärkung der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer. Es gab 115 Nein-Stimmen und 99 Enthaltungen. Die Entschließung unter dem Titel "Demokratie am Arbeitsplatz" stammt von der Sozialdemokratin Gabriele Bischoff, die vor ihrer Abgeordnetenzeit beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) gearbeitet hat. Der Entwurf wurde im Juli 2021 vorgelegt (siehe Bericht in den EBR-News 3/2021).

 

Die Entschließung fordert eine Rahmenrichtlinie über die Unterrichtung, Anhörung und Beteiligung der Arbeitnehmer, eine Stärkung der Mitbestimmung in den Aufsichtsräten sowie eine Überarbeitung der Richtlinie über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates. Die Gewerkschaften erwarten von der Europäischen Kommission, dass sie im Jahr 2022 einen Richtlinienvorschlag vorlegt. Damit sollen auch Lücken zur Flucht aus der Mitbestimmung geschlossen werden, wie sie die SE-Richtlinie derzeit noch bietet.

 

Die Entschließung im Wortlaut

Pressemitteilung des Europäischen Gewerkschaftsbundes

Politische Bewertung der Entschließung

  3. Berichte aus einzelnen Ländern

Umweltkompetenz für französische Betriebsräte

 

Am 24. August 2021 wurde in Frankreich ein umfassendes Gesetz über den Kampf gegen den Klimawandel und über die Stärkung der Widerstandsfähigkeit angesichts seiner Auswirkungen verkündet, kurz "Loi climat et résilience". Seine 305 Artikel enthalten wichtige Meilensteine ​​in den Bereichen Umwelt, Energie, Konsum, Bauen, Verkehr und Arbeitsleben. Im Kapitel zwei unter der Überschrift "Beschäftigung an den ökologischen Wandel anpassen" geben die Artikel 40 und 41 dem Wirtschafts- und Sozialausschuss (CSE), so die neue Bezeichnung für den Betriebsrat, eine Zuständigkeit für Umweltfragen. Ab 2019 wurden die früheren Betriebsräte mit den Arbeitssicherheitsausschüssen zum neuen CSE zusammengelegt (siehe Bericht in den EBR-News 1/2018).

 

Der Arbeitgeber muss den CSE jetzt über umweltrelevante Auswirkungen seiner Vorhaben unterrichten und anhören: hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklung des Unternehmens (z. B. Umstrukturierungen), Arbeitsorganisation, Berufsausbildung und Produktionstechniken. In Frankreich ist der Zugriff auf Sachverständige für den Betriebsrat in ganz erheblichem Umfang gesetzlich möglich und üblich. Für die regelmäßige Analyse der wirtschaftlichen und finanziellen Lage des Unternehmens sowie bei Personalabbau und Sozialplanverhandlungen muss der Arbeitgeber sämtliche Beraterkosten zahlen. Folglich wurde im Klimagesetz auch die Zuständigkeit der Sachverständigen auf Umweltfragen ausgeweitet. Neu ist auch das Recht des Betriebsrates, Schulungen zu Umweltfragen zu besuchen.

 

Neue Aufgaben für die Tarifpolitik

 

Das Klimagesetz führt die Verpflichtung ein, den ökologischen Wandel in Tarifverhandlungen zu einem zukunftsorientierten Beschäftigungs- und Kompetenzmanagement zu berücksichtigen. Dies gilt für alle Haustarifverträge in Betrieben ab 300 Beschäftigten und für alle Branchentarifverträge. Alle drei bis vier Jahre ist eine Aktualisierung (Neuverhandlung) vorhandener Tarifverträge in diesen Themenbereichen gesetzlich vorgeschrieben.

 

Das Gesetz im Wortlaut (siehe ab Seite 17)

Die aktuelle Lage der Gewerkschaften in Frankreich


Verlieren polnische EBR-Mitglieder ihren Schutz?

 

Geht es nach der rechtspopulistischen Regierungspartei PiS, dann gehört Polen der Rechtsgemeinschaft der EU nicht mehr an. Der polnische Verfassungsgerichtshof, dem ausschließlich Mitglieder der Regierungsparteien angehören, verordnete am 8. Oktober 2021 einen Vorrang des polnischen Rechts vor EU-Recht. Zum ersten Mal in der Geschichte der EU verwehrt das oberste Gericht eines Mitgliedslandes den eigenen Richtern die Befugnis, die Vereinbarkeit nationaler Rechtsakte mit dem EU-Recht zu prüfen. Dieser "De-facto-Austritt" Polens aus der EU stellt auch die EBR-Richtlinie in Frage, da dem Europäischen Gerichtshof eine Überprüfung des polnischen EBR-Gesetzes jetzt verwehrt ist.

 

2018 wurde eine Disziplinarkammer am Verfassungsgerichtshof gebildet, die jeden Richter entlassen kann, der mit der politischen Ausrichtung der Regierung nicht übereinstimmt - ein typisches Merkmal des Justizsystems von Diktaturen. Die Europäische Kommission hatte schon 2016 den Mechanismus zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit gegenüber Polen eingeleitet. Im Juli 2021 erließ der Europäische Gerichtshof die Anordnung, dass die Disziplinarkammer mit sofortiger Wirkung abzuschaffen ist und bereits entlassene Richter wieder einzustellen sind. Am 27. Oktober 2021 wurde Polen zur Zahlung eines täglichen Zwangsgeldes von 1 Mio. € verurteilt. Die Europäische Kommission hält 36 Mrd. € aus dem EU-Wiederaufbaufonds für Polen zurück, was von 61% der Polen ausdrücklich begrüßt wird.

 

Mehrheit der Bevölkerung will in der EU bleiben

 

Laut einer aktuellen Umfrage sehen 88% der Polen die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU positiv, nur 9% bewerten sie negativ. Vor diesem Hintergrund hat die Regierungspartei PiS einen schweren Stand: in den Meinungsumfragen ist sie von fast 44% bei den Wahlen 2019 auf 37% eingebrochen. Die europafreundliche Opposition (die Bürgerkoalition, die neue Partei Polska 2050 und die Linkspartei Razem) kommt zusammen auf 47%. Am 10. Oktober 2021 demonstrierten 200.000 Menschen in 126 Städten Polens unter dem Motto "Wir sind Europa" gegen das Urteil des Verfassungsgerichtshofs.

 

Die aktuelle Lage der Gewerkschaften in Polen


Arbeitskräftemangel in Tschechien spitzt sich zu

 

Schon seit vielen Jahren hat Tschechien die niedrigste Arbeitslosenquote der EU, im Oktober 2021 lag sie bei 2,6%. Diesen Spitzenplatz musste das Land während der Corona-Pandemie nur zeitweise an Polen abgeben. Polen ist später wieder zurückgefallen, sogar hinter die Niederlande, wo mit 2,9% die niedrigste Quote in ganz Westeuropa verzeichnet wird. Spanien ist mit 14,5% das Schlusslicht in der EU. In Tschechien liegen Prag und Mittelböhmen mit 1,3% nur halb so hoch wie der Landesdurchschnitt. Auch Teile Bayerns, das sich in geographischer Nähe befindet, haben mit 2% die niedrigste Arbeitslosenquote aller Regionen in Westeuropa.

 

Trotz Vollbeschäftigung und Arbeitskräftemangel ist die Arbeitszeit von 2019 bis 2020 um 2,8 Stunden pro Woche zurückgegangen, mehr als in jedem anderen EU-Land. Hinzu kommen Lohnsteigerungen, die die Gewerkschaften mit ihrer Kampagne "Das Ende der billigen Arbeit" seit 2015 gezielt einfordern (siehe Bericht in den EBR-News 4/2018). Zuletzt lag der jährliche Lohnzuwachs bei 11,3% und der Durchschnittsverdienst bei 1.500 € (in Prag bei 1.800 €). Auch der gesetzliche Mindestlohn ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen (siehe Bericht in den EBR-News 1/2021). Mangel an Arbeitskräften führt zu stärkerer Zuwanderung. So kommen heute 15% aller Arbeitnehmer in Tschechien aus dem Ausland, viele aus Südeuropa und der Ukraine.

 

Bei der Parlamentswahl am 8. und 9. Oktober 2021 scheiterten Sozialdemokraten und Kommunisten, die die bisherige Regierung gestützt hatten, an der 5-Prozent-Hürde. Beide Parteien sind erstmals seit Gründung der Tschechischen Republik 1993 nicht mehr im Parlament vertreten. Die neue konservative Regierung mit Unterstützung von Piraten- und Bürgermeisterpartei aus dem grün-liberalen Spektrum ist seit dem 17. Dezember 2021 im Amt und bekennt sich klar zur EU. Dazu gehören Maßnahmen zur Vorbereitung eines Beitritts zur Eurozone, auch wenn er in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr vollzogen werden soll. Die neue Regierung will die duale Ausbildung fördern und die Beschäftigung von Arbeitnehmern aus Drittländern erleichtern.

 

Auch slowakische Firmen finden keine Bewerber

 

Stärker noch als in Tschechien spielt in der Slowakei, die 2009 den Euro als Zahlungsmittel einführte, die Automobilindustrie eine bedeutende Rolle (siehe Bericht in den EBR-News 1/2018). Zwar hat die Slowakei mit 6,3% Arbeitslosenquote keine Vollbeschäftigung, dennoch berichten 92% aller Firmen mit zehn oder mehr Beschäftigten von Schwierigkeiten bei der Suche nach geeigneten Bewerbern für offene Stellen. In keinem anderen EU-Land ist dieser Anteil höher. Dies geht aus einen Bericht der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) hervor, der sich mit der Frage "Bekämpfung des Arbeitskräftemangels in den EU-Mitgliedstaaten" beschäftigt.

 

Bericht über die Lage in Tschechien

Analyse der Parlamentswahl in Tschechien

Bericht über die Lage in der Slowakei

Bericht zur Bekämpfung des Arbeitskräftemangels in den EU-Ländern

  4. Aktuelle Gerichtsentscheidungen

Bessere Absicherung für Tarifverhandlungen im Vereinigten Königreich

 

Das deutsche Familienunternehmen Kostal aus dem Sauerland verlor am 27. Oktober 2021 in letzter Instanz einen Rechtsstreit vor dem Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs gegen die Gewerkschaft Unite und schreibt damit Rechtsgeschichte. In der Kostal-Niederlassung Rotherham (South Yorkshire) hatte das Management versucht, die Belegschaft durch direkte Angebote zu bewegen, aus laufenden Tarifverhandlungen auszusteigen. Die 55 Kläger erhalten nun eine Entschädigung in Höhe von je 7.600 £ (ca. 8.900 €), insgesamt 418.000 £ (knapp 500.000 €). Weltweit hat der Automobilzulieferer 20.000 Beschäftigte und verfügt seit Juni 2017 über einen Europäischen Betriebsrat (siehe Bericht in den EBR-News 4/2017).

 

Im Februar 2015 schloss die Werksleitung in Rotherham eine Vereinbarung über die Anerkennung der Gewerkschaft Unite als Tarifvertragspartei ("recognition"), nachdem die Mehrheit der 700 Beschäftigten dies in einer Urabstimmung gefordert hatte. Im Oktober 2015 begannen Lohnverhandlungen. Nachdem das erste Angebot der Werksleitung von der Tarifkommission abgelehnt wurde, unterbreitete sie das gleiche Angebot den Beschäftigten direkt und drohte jedem mit Entlassung, der es nicht akzeptieren würde. Auch ein Weihnachtsgeld von 270 £ (damals 370 €) wurde nur an diejenigen gezahlt, die das Angebot annahmen. Das Arbeitsgericht Sheffield erklärte den Versuch, eine Gewerkschaft zu brechen und die Mitglieder zu spalten, im Februar 2017 für rechtswidrig. Danach lief der Fall weiter durch die Instanzen.

 

Historisch gesehen waren Tarifverträge noch nie einklagbar

 

lm Vereinigten Königreich mit seiner konfliktorientierten Tradition bot das Arbeitsrecht noch nie einen Schutz für Tarifverträge, wie er in Kontinentaleuropa üblich ist. Bis heute gilt der Grundsatz, dass Tarifverträge nicht einklagbar sind, außer sie enthalten eine Klausel über ihre Rechtsverbindlichkeit oder der einzelne Arbeitsvertrag nimmt ausdrücklich auf sie Bezug. Das gesamte Arbeitsrecht geht von der Freiheit der Gewerkschaften und Arbeitgeber aus, die weitgehend tun und lassen können, was sie wollen. Einschränkungen für die Gewerkschaften kamen später durch die Thatcher-Gesetze und für die Arbeitgeber durch EU-Recht. Das neue Urteil ist ein Bruch mit dem "freien Spiel der Kräfte" und ein Meilenstein für die Rechtssicherheit von Tarifverhandlungen. Allerdings hat jeder Arbeitgeber auch weiterhin die Möglichkeit, aus einem Tarifvertrag ersatzlos auszusteigen, wenn er Verhandlungen mit der Gewerkschaft zunächst vollständig ausschöpft und diese Bemühungen vor Gericht darlegen kann.

 

Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Urteil im Wortlaut

Bericht über das Urteil

Stellungnahme der Gewerkschaft Unite


Keine Restrukturierung ohne SE-Betriebsrat

 

Am 9. Dezember 2021 erließ das Berufungsgericht von Versailles eine einstweilige Verfügung, wonach der SE-Betriebsrat von Atos seine Arbeit wieder aufnehmen kann. Der französische IT-Konzern gehört mit 110.000 Beschäftigten weltweit zu den zehn größten der Branche. Nach Kündigung der SE-Beteiligungsvereinbarung hatte die zentrale Leitung den SE-Betriebsrat im April 2021 für aufgelöst erklärt und ein Besonderes Verhandlungsgremium installiert. In der ersten Instanz war der Antrag auf einstweilige Verfügung hiergegen noch abgelehnt worden (siehe Bericht in den EBR-News 2/2021).

 

Das Berufungsgericht stellte fest, dass es keine "betriebsratslose" Zeit gibt. Entweder wird nach der Kündigung einer Vereinbarung eine neue geschlossen oder es gilt die gesetzliche Auffangregelung (SE-Betriebsrat "kraft Gesetz"). Die Einberufung eines Besonderen Verhandlungsgremiums bedeutet für das Gericht nicht, dass ein bestehender SE-Betriebsrat aufhört zu existieren. Bis zum Ende der gesetzlichen Verhandlungsfrist von sechs Monaten im März 2022 arbeitet der SE-Betriebsrat zunächst auf Grundlage der gekündigten SE-Beteiligungsvereinbarung weiter. Ob und wie lange diese verlängert wird bzw. ab wann die Auffangregelung greift, wird möglicherweise in einem weiteren Gerichtsverfahren zu klären sein. Das Unternehmen muss alle Kosten des Rechtsstreits auch der ersten Instanz tragen und dem SE-Betriebsrat eine Entschädigung von 6.000 € zahlen. Die SE-Beteiligungsvereinbarung von Atos stammt aus dem Jahr 2012 und gilt bis heute als eine der besten, die in Frankreich geschlossen wurden (siehe Bericht in den EBR-News 1/2013).

 

Bericht über das Urteil

  5. Welche Sanktionen bei Verletzung der EBR-Rechte?

Völliges Neuland für die Rechtsprechung

 

In den zurückliegenden Jahren haben Rechtsstreitigkeiten rund um den Europäischen Betriebsrat zugenommen. Die meisten Verfahren betrafen angelsächsisch geprägte Konzerne, zumeist aus den USA, sowie Unternehmen der Verpackungsindustrie. Einen Schwerpunkt bildete Großbritannien, wo vor dem Brexit jedes Jahr ein halbes Dutzend EBR-Klagen eingereicht wurden. Viele davon konnten die Europäischen Betriebsräte gewinnen. Bisher ist es allerdings nur in Frankreich und Belgien gelungen, per Unterlassungsanspruch den vorübergehenden Stopp von Maßnahmen durchzusetzen. Mehrere Versuche in Deutschland und den Niederlanden sind gescheitert.

 

Die EU-Richtlinie über die Errichtung eines Europäischen Betriebsrates formuliert in Erwägungsgrund 35: "Werden die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen nicht eingehalten, so müssen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen treffen." Erwägungsgrund 36 spricht von "Sanktionen, die wirksam, abschreckend und im Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung angemessen sind". Doch was ist eine wirksame und abschreckende Sanktion? In Frankreich betrug die höchste Geldstrafe, die je verhängt wurde, 15.000 € (siehe Bericht in den EBR-News 1/2019) und in Großbritannien waren es 40.000 £ (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020). In Deutschland wurde noch nie eine Geldstrafe verhängt. Es gibt dazu auch keine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.

 

Überblick über Gerichtsverfahren in EBR-Angelegenheiten

 

Hinweise liefert die EU-Datenschutz-Grundverordnung

 

Die Datenschutz-Grundverordnung ist seit Mai 2018 in Kraft (siehe Bericht in den EBR-News 1/2016). Sie sieht in Artikel 83 Geldbußen vor, die "wirksam, verhältnismäßig und abschreckend" sein müssen und bis zu 4% des weltweit erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahrs betragen können. Auf dieser Rechtsgrundlage verhängte der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit im Oktober 2020 ein Bußgeld in Höhe von 35,3 Mio. € gegen Hennes & Mauritz Online Shop wegen der Führung geheimer Personalakten (siehe Bericht in den EBR-News 4/2020). Da die Formulierung "wirksam, verhältnismäßig und abschreckend" in beiden Rechtsakten vergleichbar ist, wäre auch bei Verstößen gegen EBR-Recht an eine solche Größenordnung zu denken. Kurz vor Jahresende 2021 sind nun drei EBR-Klagen auf dem Weg, die das Potential haben, diese Frage zum Europäischen Gerichtshof zu tragen: eine in Österreich, eine in Deutschland und eine in Irland. Beraten werden die Kläger von der EWC Academy.


Österreich setzt EBR-Richtlinie nur lückenhaft um

 

Am 15. Dezember 2021 legte der Europäische Betriebsrat von Mayr-Melnhof Packaging Beschwerde beim Verwaltungsgericht Wien ein. Die erste Instanz zur Festsetzung von Geldstrafen, der Magistrat der Stadt Wien, hatte einen Antrag des EBR gegen die Geschäftsführer des Unternehmens abgelehnt, weil das Arbeitsverfassungsgesetz keine Sanktionen bei Verstößen gegen EBR-Rechte vorsieht. Geldstrafen können in Österreich nur dann verhängt werden, wenn die Rechte eines Besonderen Verhandlungsgremiums verletzt werden. Diese offensichtliche Lücke im Gesetzestext verstößt gegen die Erwägungsgründe 35 und 36 der EU-Richtlinie.

 

Die zentrale Leitung des österreichischen Verpackungsunternehmens mit knapp 10.000 Beschäftigten weigert sich seit April 2019, Sitzungen des engeren Ausschusses zu finanzieren und die Kosten für Beratungsleistungen, Dolmetscher und Reisen zu erstatten. Hierzu läuft eine Klage vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien (siehe Bericht in den EBR-News 3/2019). Für die Festsetzung von Geldstrafen ist der Magistrat der Stadt Wien zuständig, weshalb dort Anzeige erstattet wurde. Der EBR von Mayr-Melnhof Packaging arbeitet auf Basis der subsidiären Bestimmungen ("kraft Gesetz"), nachdem die Verhandlungen über eine Vereinbarung gescheitert waren. Die Beschwerde an das Verwaltungsgericht enthält den Antrag auf ein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof.

 

Weitere Klage in Deutschland

 

Seit dem 22. Januar 2021 läuft auch ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht Oldenburg. Der Vorsitzende des EBR von Mayr-Melnhof Packaging arbeitet im Werk Delmenhorst und will die Geschäftsleitung in Deutschland als Gesamtschuldnerin für die Erstattung von Anwaltskosten in Österreich in Anspruch nehmen. Die zentrale Leitung in Wien weigert sich, zu zahlen. Das Arbeitsgericht Oldenburg hatte im Januar 2020 die Erstattung von Reisekosten genehmigt (siehe Bericht in den EBR-News 1/2020). Die Grundsatzfrage reicht weit über diesen konkreten Fall hinaus. Sollte neben der zentralen Leitung im Ausland auch ein deutscher Arbeitgeber als Gesamtschuldner haften, könnten in Zukunft Europäische Betriebsräte in der Jurisdiktion ihrer Wahl klagen. Es würden also gleiche "Wettbewerbsbedingungen" gegenüber multinationalen Unternehmen entstehen, die sich häufig die Jurisdiktion beliebig aussuchen können. Diese Frage soll dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt werden, so der Antrag des Klägers.


Antrag auf Sanktionen gegen US-Konzern in Irland

 

Am 27. Dezember 2021 beantragte der Europäische Betriebsrat von Verizon beim Arbeitsministerium in Dublin (Department of Enterprise, Trade and Employment) eine Überprüfung des EBR-Gesetzes. Er will ein Strafverfahren gegen die zentrale Leitung des US-Konzerns einleiten, weil über den Verkauf von Verizon Media keine Unterrichtung und Anhörung erfolgte. Im April 2021 wurde bekannt, dass Verizon Media (Yahoo und AOL) verkauft werden soll, was am 1. September 2021 stattfand. Die vom EBR geforderte Beteiligung gab es jedoch nie.

 

Die zentrale Leitung von Verizon setzt sich bewusst und regelmäßig über die Rechte des EBR hinweg und versucht, dessen Arbeit zu behindern (siehe Bericht in den EBR-News 2/2021). In Großbritannien wurde das Unternehmen im Oktober 2020 zu einer Geldstrafe von 40.000 £ verurteilt, die höchste in ganz Europa, die jemals verhängt wurde (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020). Offensichtlich war diese Summe aber nicht "wirksam, abschreckend und im Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung angemessen", wie es der Erwägungsgrund 36 der EU-Richtlinie vorschreibt. Der EBR beantragte eine Geldstrafe von 90 Mio. € unter Hinweis auf ähnliche Größenordnungen bei Verstößen gegen die EU-Datenschutz-Grundverordnung. Eine solche Geldstrafe sieht das irische EBR-Gesetz jedoch nicht vor. Daher könnte das Verfahren zu einer Klärung vor dem Europäischen Gerichtshof führen.

 

Pressemitteilung der Gewerkschaft SIPTU

  6. Europäischer Betriebsrat befragt Kaufinteressenten

Französischer Energiekonzern schreibt soziale Garantien in den Kaufvertrag

 

Am 5. November 2021 wurde bekannt, dass Engie seine Sparte für technische Dienstleistungen Equans mit 74.000 Beschäftigen in 17 Ländern (davon allein 27.000 in Frankreich) an den Mischkonzern Bouygues verkaufen wird. Die Transaktion soll im zweiten Halbjahr 2022 abgeschlossen sein. Es ist es die größte Reorganisation seit 2008, als Gaz de France und Suez zum heutigen Engie-Konzern zusammengelegt wurden. Damals stoppte der EBR von Gaz de France die Fusion auf dem Gerichtsweg für anderthalb Jahre (siehe Bericht in den EBR-News 1/2008). Um eine solches Risiko zu vermeiden, band das Management den EBR jetzt frühzeitig in die Auswahl der Kaufinteressenten ein.

 

Bereits am 18. Februar 2021 begann die Unterrichtung und Anhörung über den geplanten Verkauf. Der EBR gab am 23. Juni 2021 eine negative Stellungnahme ab, obwohl die zentrale Leitung bereit war, soziale Garantien vom Käufer zu verlangen, darunter eine Arbeitsplatzgarantie von zwei Jahren. Am 7. und 8. Oktober 2021 konnte das Präsidium des EBR die vier Bewerber für die Übernahme von Equans treffen und je anderthalb Stunden befragen. Neben einem Top-Manager des US-Finanzinvestors Bain Capital kamen die Vorstandsvorsitzenden des Baukonzerns Eiffage, des Industriedienstleisters Spie und des Mischkonzerns Bouygues persönlich, um ihr Angebot zu erläutern. Alle vier waren bereit, die Beschäftigungsgarantie auf fünf Jahren auszudehnen. Der EBR legte jedem Bieter einen Katalog mit weiteren Forderungen vor, um die Risiken für die Zukunft der Beschäftigten zu verringern:

  • Beibehaltung des Unternehmenssitzes in Frankreich für mindestens fünf Jahre
  • Leiharbeit und Subcontracting sollen auf einen strikt notwendigen Umfang begrenzt werden
  • Die Belegschaft erhält 5% des Aktienkapitals und ein Drittel der Sitze im Verwaltungsrat
  • Außereuropäische Aktionäre dürfen nicht mehr als 50% der Anteile halten
  • Die Verschuldung von Equans darf nicht dazu verwendet werden, den Kaufpreis zurückzuzahlen, Dividenden an den Käufer auszuschütten oder einen Aktienrückkauf durchzuführen.

Ziel ist es, vor Abschluss des Verkaufsprozesses eine Vereinbarung zwischen EBR, Equans und dem künftigen Käufer zu schließen. Nach Anhörung der Kaufinteressenten konnte das Präsidium des EBR mit Unterstützung einer Beratungsfirma eine Bewertung der eingereichten Angebote erstellen. Dieses Dokument wurde jedoch erst veröffentlicht, nachdem die Entscheidung der zentralen Leitung von Engie zum Verkauf an Bouygues getroffen war. Der EBR hatte keine Empfehlung für einen bestimmten Bieter abgegeben. Neben dem Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen in Europa für fünf Jahre, was der Vorstandsvorsitzende von Bouygues dem EBR bereits in der Anhörung zugesagt hatte, sollen 10.000 neue Arbeitsplätze in den nächsten fünf Jahren geschaffen werden.

 

Eigenständiger EBR für die neue Sparte

 

Auch hinsichtlich der Struktur des Europäischen Betriebsrats wurde eine Absprache getroffen, die weit über das Gesetz hinausgeht. Es soll nämlich ein Besonderes Verhandlungsgremium für die Sparte der technischen Dienstleistungen gebildet werden, um Zusammensetzung, Befugnisse und Arbeitsweise eines Europäischen Spartenbetriebsrates auszuhandeln. Ohne diese Sonderregelung würde Equans in den EBR von Bouygues integriert, der zuletzt im März 2021 seine EBR-Vereinbarung aktualisiert hatte (siehe Bericht in den EBR-News 3/2021).

 

Pressemitteilung des EBR zur Bewertung der Bieter

  7. Verhandlungen zur SE-Umwandlung

Arbeitgeber übernimmt Vorsitz im SE-Betriebsrat inklusive Stimmrecht

 

Seit dem 9. Juni 2021 firmiert Edenred aus Issy-les-Moulineaux (bei Paris) als Europäische Gesellschaft (SE). Das Unternehmen ist Erfinder des Ticket Restaurant-Systems und heute Weltmarktführer bei Essensgutscheinen, der digitalen Abwicklung von Tanken, Maut oder Parkgebühren sowie virtuellen Kreditkarten für Unternehmenszahlungen. Von 10.000 Beschäftigten weltweit arbeiten 4.100 in 21 Ländern der EU, die von 26 Delegierten im Besonderen Verhandlungsgremium (BVG) vertreten wurden. Die SE-Vereinbarung vom 23. März 2021 folgt weitgehend der im September 2014 geschlossenen EBR-Vereinbarung (siehe Bericht in den EBR-News 4/2014), es fehlen allerdings typische SE-Merkmale wie das doppelte Konsultationsverfahren. Auch ist die Zuständigkeit des SE-Betriebsrates enger definiert als in der SE-Richtlinie.

 

Im künftigen SE-Betriebsrat gilt die gleiche Sitzverteilung wie im BVG. Er wird derzeit neu gewählt und den alten EBR ersetzen, aber weiterhin als EBR bezeichnet. Der Arbeitsdirektor übernimmt nicht nur den Vorsitz (was in Frankreich üblich ist), sondern hat bei Stimmengleichheit die ausschlaggebende Stimme. Der EBR wählt den Sekretär und vier weitere Mitglieder in den engeren Ausschuss. Er kann sich durch ein Sachverständigenbüro und einen Vertreter der europäischen Gewerkschaften beraten lassen. Fristen zur Einreichung eines Fragenkataloges im Rahmen der Unterrichtung und Anhörung sind - ähnlich wie im französischen lokalen Betriebsrat - sehr knapp bemessen. Die 26 EBR-Mitglieder kommen einmal jährlich zu einer Präsenzsitzung zusammen und können mit Mehrheit jederzeit eine außerordentliche Sitzung beantragen. Im Juni 2015 hatte die EWC Academy eine Schulung für den EBR durchgeführt (siehe Bericht in den EBR-News 2/2015).

 

Anders als in Deutschland, wo SE-Umwandlungen oft zur Flucht aus der Mitbestimmung missbraucht werden (siehe Bericht in den EBR-News 2/2020), sind sie in Frankreich Teil einer Internationalisierung der Unternehmensstruktur, vor allem in IT-nahen Sektoren. Bei der Anzahl belegt Frankreich mit etwa 15% den zweiten Platz nach Deutschland, auf das mehr als 80% entfallen. Alle anderen EU-Länder spielen zahlenmäßig nur eine sehr geringe Rolle. Die beiden Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsrat von Edenred behalten ihre Mandate bis zum Ende ihrer Amtszeit, danach wird jeweils ein Mandat vom französischen Gesamtbetriebsrat und dem EBR besetzt.

 

Der Umwandlungsplan im Wortlaut


SE-Umwandlung scheitert vorläufig an Corona-Pandemie

 

Am 29. Oktober 2021 beschloss der Aufsichtsrat von Bechtle, das Vorhaben einer Umwandlung in eine Europäische Gesellschaft (SE) bis auf weiteres zu beenden. Als Grund wird die Corona-Pandemie genannt. Zwar wurde im Herbst 2020 mit der Wahl des Besonderen Verhandlungsgremium gestartet, aber die für Anfang November 2020 geplante konstituierende Sitzung musste aufgrund von Reise- und Kontaktbeschränkungen wieder abgesagt werden. Die gesetzlich geforderten Präsenzsitzungen konnten nicht stattfinden. "Und auch derzeit ist unsicher, ob Präsenzsitzungen in den nächsten Monaten in den jeweils erforderlichen Fristen möglich sein werden", heißt es in einer Pressemitteilung. Das Unternehmen behält sich vor, zu einem späteren Zeitpunkt das Vorhaben einer SE-Umwandlung erneut aufzugreifen.

 

In anderen Unternehmen finden SE-Verhandlungen dagegen per Videokonferenz statt, vor allem wenn die Zeit drängt, um aus der Mitbestimmung zu flüchten (siehe Bericht in den EBR-News 3/2021). Die Notwendigkeit von Präsenzsitzungen bei Bechtle deutet darauf hin, dass ernsthafte Verhandlungen geplant waren. Eine Flucht aus der Mitbestimmung ist nicht mehr möglich, denn der Aufsichtsrat ist bereits heute paritätisch besetzt. Bechtle ist mit 12.000 Beschäftigten in 14 europäischen Ländern das größte IT-Systemhaus in Deutschland und hat seinen Sitz in Neckarsulm (Baden-Württemberg). Einen Europäischen Betriebsrat gibt es bisher noch nicht.

 

Pressemitteilung des Unternehmens


Mobilitätsdienstleister vermeidet paritätische Mitbestimmung

 

Am 9. Dezember 2021 wurde die Tier Mobility in eine Europäische Gesellschaft (SE) umgewandelt. Das 2018 gegründete Startup aus Berlin betreibt eine digitale Plattform zum Verleih von elektrischen Kleinfahrzeugen und hat innerhalb der EU 1.900 Beschäftigte in 13 Ländern, darunter knapp 1.400 in Deutschland und 200 in Finnland. Aufgrund des schnellen Wachstums könnte bald die Schwelle von 2.000 Arbeitnehmern in Deutschland erreicht sein, was zu einer paritätischen Mitbestimmung führen würde. Durch SE-Umwandlung ist die Belegschaft nun aus dem Verwaltungsrat ausgeschlossen.

 

Die SE-Beteiligungsvereinbarung vom 12. November 2021 sieht die Errichtung eines SE-Betriebsrates mit zwölf Mitgliedern vor, der zweimal jährlich tagt. Große Länder erhalten eigene Mandate, kleinere Länder werden zu Regionen zusammengefaßt und entsenden Regionalvertreter. Der geschäftsführende Ausschuss hat drei Mitglieder. Virtuelle Sitzungen sind nur möglich, wenn der SE-Betriebsrat keine Präsenzsitzung verlangt. Bei Umstrukturierungen ist ein zweistufiges Anhörungsverfahren vorgesehen, so wie es die SE-Richtlinie in ihrer Auffangregelung formuliert. Der Anspruch auf Sachverständige und Schulungen entspricht dem gesetzlichen Standard.

 

Umfangreiche Zuständigkeit in kleinen Ländern

 

Der SE-Betriebsrat kann auf Antrag von 20% der Belegschaft in nationalen Angelegenheiten beteiligt werden, wenn kein Betriebsrat in dem betreffenden Land besteht oder wenn eine Frage die Befugnisse des Managements der Tochtergesellschaft überschreitet. Die Zuständigkeit des SE-Betriebsrates ist auch gegeben, wenn mehr als die Hälfte der Vollzeitbeschäftigten in zwei Ländern betroffen sind. Er hat ein Zutrittsrecht zu allen Betrieben und Anspruch auf Erstattung der Reisekosten, um sich vor Ort mit den Beschäftigten zu besprechen. Hinzu kommen Initiativrechte bezüglich Harmonisierung und Fortentwicklung der Arbeitsbedingungen innerhalb der SE. Bei der Erarbeitung der Vereinbarung wurde das Besondere Verhandlungsgremium durch die EWC Academy unterstützt.

  8. Vertragspolitik Europäischer Betriebsräte

Logistikunternehmen erneuert EBR-Vereinbarung

 

Am 6. September 2021 wurde die EBR-Vereinbarung von Geodis erneuert. Das größte Logistikunternehmen Frankreichs hat weltweit 41.000 Beschäftigte und ist seit 2008 eine Tochtergesellschaft der französischen Eisenbahn SNCF. Der Europäische Betriebsrat wurde 2000 gegründet, als Geodis noch eigenständig war. Ihm gehören drei Vertreter der Konzernleitung (die Vorstandsvorsitzende, der Finanz- und der Arbeitsdirektor) und 26 Arbeitnehmervertreter an, davon 17 aus Frankreich. Die weiteren Länder sind Italien, Spanien, Deutschland und die Niederlande. Der EBR tagt zweimal jährlich und kann die Unterstützung eines Wirtschaftsprüfers in Anspruch nehmen, der die Bilanzen des Unternehmens analysiert. Das Präsidium besteht aus zwei Vertretern der zentralen Leitung und acht Arbeitnehmervertretern, davon sieben aus Frankreich. Der Vorsitz liegt immer beim Arbeitgeber, die Arbeitnehmerseite wählt einen Sekretär. Eine Besonderheit bei Geodis: der Sekretär des EBR kann an allen Sitzungen des Aufsichtsrates mit beratender Stimme teilnehmen.

 

Sämtliche Reise- und Dolmetscherkosten werden vom Unternehmen getragen. Zusätzlich hat der EBR ein eigenes Büro und ein jährliches Budget von 12.500 € für sonstige Aktivitäten und von 10.000 € für Schulungen. Jedes EBR-Mitglied hat 120 Stunden Freistellung im Jahr neben den Zeiten für normale Sitzungen. Hinzu kommen 650 Stunden, die der EBR auf einzelne Delegierte frei aufteilen kann. Auch die Muttergesellschaft SNCF verfügt über einen Europäischen Betriebsrat, der 2012 gegründet wurde (siehe Bericht in den EBR-News 1/2013).

 

Die EBR-Vereinbarung im Wortlaut


Nachhaltige Entwicklung als EBR-Thema in der Bauindustrie

 

Am 9. September 2021 wurde eine überarbeitete Fassung der EBR-Vereinbarung des französischen Baukonzerns Eiffage unterzeichnet. Den EBR gibt es schon seit 1998. Neu ist jetzt seine Zuständigkeit für umweltpolitische Fragen und nachhaltige Entwicklung. Auch der Klimabericht des Unternehmens und der Aktionsplan zur biologischen Vielfalt stehen auf der Tagesordnung seiner halbjährlichen Sitzungen. Alle anderen Merkmale bleiben im Vergleich zu der bisherigen EBR-Vereinbarung vom Dezember 2016 weitgehend unverändert (siehe Bericht in den EBR-News 1/2017).

 

Die EBR-Vereinbarung im Wortlaut

Der Klimabericht des Unternehmens


Arbeits- und Gesundheitsschutz im Pflegekonzern

 

Am 16. November 2021 unterzeichnete das Management von Korian, dem zweitgrößten europäischen Konzern für Pflegedienstleistungen, ein Protokoll über Gesundheit, Sicherheit und über die Verhütung von Arbeitsunfällen mit dem Europäischen Betriebsrat. Der börsennotierte französische Konzern mit 57.500 Arbeitnehmern in sieben Ländern hatte im April 2019 als erster in dieser Branche einen EBR gegründet (siehe Bericht in den EBR-News 2/2019). Damals wurde bereits die Bildung einer ständigen Arbeitsgruppe zum Thema Arbeitssicherheit und Gesundheitsförderung vereinbart.

 

Die Pflegebranche verzeichnet eine höhere Unfallrate als die Bauindustrie oder andere Branchen. Auch wenn es meist leichte Unfälle sind, gibt es viele Ausfalltage wegen Muskel-Skelett-Erkrankungen. Das Protokoll will vorbildliche Praktiken der verschiedenen Länder auswerten und europaweit zugänglich machen. So sehen z. B. die italienischen Rechtsvorschriften ein strenges Überwachungssystem mit multidisziplinären Ausschüssen für Sicherheit und Gesundheitsschutz vor. Dies ist nach Meinung der zentralen Leitung einer der Gründe, warum die italienischen Einrichtungen die besten Ergebnisse im Konzern erzielen. Das Protokoll baut auf einer Vereinbarung über Gesundheit und Sicherheit auf, die im Mai 2021 mit den französischen Gewerkschaften geschlossen wurde. Ein Follow-up-Ausschuss auf europäischer Ebene wird zweimal im Jahr zusammentreten, um die Fortschritte zu bewerten.

 

Pressemitteilung des Unternehmens

Studie über Mitbestimmung in privaten Gesundheits- und Pflegekonzernen

  9. Der Blick über Europa hinaus

Druck auf deutschen Baustoffhersteller wächst

 

Am 13. und 14. Oktober 2021 diskutierten in einer Videokonferenz 70 Arbeitnehmervertreter von HeidelbergCement aus 20 Ländern die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Zementindustrie, über Arbeits- und Gesundheitsschutz, saubere Technologien und weltweite Arbeitnehmerrechte. In einer Stellungnahme fordern sie, den Missbrauch beim Einsatz von Subunternehmen und Leiharbeit zu beenden. Auch soll die Konzernleitung endlich Verhandlungen über ein internationales Rahmenabkommen aufnehmen, was von den Gewerkschaften seit Jahren gefordert wird. HeidelbergCement hat weltweit 53.000 Beschäftigte. Einen Europäischen Betriebsrat nach deutschem Recht gibt es seit 1996. Ihm gehören auch Delegierte von Italcementi an, nachdem das italienische Unternehmen 2016 aufgekauft wurde (siehe Bericht in den EBR-News 4/2016).

 

Bericht von der Videokonferenz

Die Stellungnahme im Wortlaut


Streik beim weltgrößten Hersteller von Landmaschinen in den USA

 

Am 2. November 2021 trafen sich 30 Arbeitnehmervertreter von John Deere aus Europa, Brasilien und den USA zu einer Videokonferenz, um die wirtschaftliche und tarifliche Situation im Unternehmen sowie gemeinsame Strategien für den sozialen Dialog mit dem Management zu diskutieren. Dabei wurde den amerikanischen Gewerkschaften die neue Struktur des seit 1996 bestehenden Europäischen Betriebsrates vorgestellt, der nach deutschem Recht arbeitet. Die Vernetzung der Gewerkschaften könnte bald zur Gründung eines Weltbetriebsrates führen (siehe Bericht in den EBR-News 2/2018).

 

Zwischen dem 14. Oktober und dem 17. November 2021 streikten 10.000 Beschäftigte in 14 Werken des US-Konzerns im Mittleren Westen. Es war der erste Streik seit 35 Jahren. Der neue Tarifvertrag läuft über sechs Jahre und sieht im ersten Jahr eine Lohnsteigerung von 10% vor. Der Streik bei John Deere ist Teil einer beispiellosen Welle von Arbeitskämpfen, die verschiedene Branchen in den USA erfasst hat und von den Medien als "Striketober" bezeichnet wird.

 

Bericht von der Videokonferenz

Bericht über den Streik in den USA


Spanische Hotelkette mit zwei weltweiten Abkommen

 

Am 4. November 2021 unterzeichnete die Konzernleitung von RIU in Palma de Mallorca zwei Vereinbarungen mit der internationalen Gewerkschaftsföderation Lebensmittel, Landwirtschaft und Hotels IUL über Gewerkschaftsrechte und gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Alle 24.000 Beschäftigten in 24 Ländern können einer Gewerkschaft beitreten und Tarifverhandlungen verlangen. Um die Prävention sexueller Belästigung sicherzustellen, werden in jedem Hotel mit den lokalen Gewerkschaften Richtlinien erarbeitet. Beide Vereinbarungen unterliegen einem gemeinsamen Monitoring durch das RIU-Management und die IUL. Größter Minderheitsaktionär des ursprünglich als Familienbetrieb entstandenen Unternehmens ist der deutsche Touristikkonzern TUI, der die Hotels in einem Joint Venture mit RIU betreibt und vermarktet.

 

Bericht von der Unterzeichnung

Das Abkommen über Gewerkschaftsrechte im Wortlaut

Das Abkommen gegen sexuelle Belästigung im Wortlaut

  10. Interessante Webseiten

Keine Profite durch die Corona-Pandemie

 

Seit November 2020 verlangt eine Europäische Bürgerinitiative konkrete gesetzgeberische Maßnahmen von der Europäischen Kommission, um Impfstoffe und Behandlungen zur Bekämpfung der Pandemie zu einem globalen öffentlichen Gut zu machen, das für jeden frei zugänglich ist. Große Pharmaunternehmen sollen nicht auf Kosten der Gesundheit der Menschen von der Pandemie profitieren oder entscheiden können, wer Zugang zu Behandlungen oder Impfstoffen hat und zu welchem Preis. Die Initiative wird von Verbraucherschutz- und Sozialverbänden sowie Gewerkschaften aus 20 EU-Ländern unterstützt, besonders viele Unterzeichner kommen aus Belgien und Italien. Die Webseite ist in 26 Sprachen verfügbar.

 

Die Webseite der Bürgerinitiative


Digitalisierung der Arbeitswelt in Mittel- und Osteuropa

 

Seit Juli 2021 sind Forschungsergebnisse über Industrie 4.0, Digitalisierung und künstliche Intelligenz in Ländern Mittel- und Osteuropas auf dieser Projekt-Webseite zu finden. Das von der Europäischen Union finanziell geförderte Projekt wird von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften in Ungarn, Rumänien und der Slowakei gemeinsam durchgeführt. Damit wollen sie nicht nur die Bedeutung eines starken sozialen Dialogs in ihren jeweiligen Ländern unterstreichen, sondern vor allem das europäische Rahmenabkommen über die Digitalisierung vom Juni 2020 (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020) in die Praxis umsetzen. Die Tarifpartner aller EU-Länder müssen dem Ausschuss für den sozialen Dialog in Brüssel jährlich Bericht darüber erstatten.

 

Die Projekt-Webseite

Bericht von einem Seminar in Rumänien

Bericht von einem Seminar in der Slowakei

Bericht von einem Seminar in Ungarn


Digitalisierung in der Bauwirtschaft

 

Im Oktober 2021 endete das zweijährige, mit EU-Geldern unterstützte Projekt DISCUS (Digitale Transformation in der Bauwirtschaft: Herausforderungen und Chancen). Beteiligt waren Projektpartner aus Belgien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Sie untersuchten die Digitalisierung und den technologischen Wandel der Branche im Ländervergleich und welchen Beitrag innovative Arbeitsbeziehungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Bauarbeitern in ökologischer und sozialer Hinsicht leisten können. Das Projekt wurde von der Fondazione Giuseppe Di Vittorio in Rom geleitet, der Stiftung für Geschichts-, Sozial-, Wirtschaftsforschung und gewerkschaftliche Bildung des italienischen Gewerkschaftsbundes CGIL.

 

Die Projekt-Webseite

Kurzfassung des Projektberichts

Fallstudien aus sechs Ländern

Die Webseite der Fondazione Giuseppe Di Vittorio


Datenbank über Tarifverträge in Europa

 

Seit Anfang November 2021 sind in einer neuen Datenbank Ergebnisse von Tarifverhandlungen sowie Informationen über sozialpolitische und wirtschaftliche Entwicklungen in europäischen Ländern abrufbar. Damit möchte der Europäische Industriegewerkschaftsbund (industriALL) in Brüssel den Verhandlungsführern auf der nationalen und lokalen Ebene helfen, aus der Praxis, den Trends und Errungenschaften anderer Länder zu lernen. Die Datenbank wird von rund 150 Tarifexperten aus über 35 Ländern mit Dokumenten beliefert und gliedert sich in vier Bereiche: Tarifverhandlungen, Arbeitsorganisation und Arbeitsbedingungen, ökologischer und digitaler Wandel sowie Gleichstellung.

 

  11. Neue Publikationen

Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus à la Amazon

 

Im Juli 2021 legte der Dachverband der Dienstleistungsgewerkschaften (UNI global) einen Bericht über die Arbeitsplatzüberwachung bei Amazon vor, dem zweitgrößten privaten Arbeitgeber der Welt mit 1,3 Mio. Beschäftigten (in der EU sind es 100.000). Die Autoren von der Universität Toronto weisen auf die Barcode-Scanner hin, mit denen die Position eines Artikels in den Regalen ermittelt werden kann. Ohne diese Technologien, die jeden Handgriff digital überwachen, können die Beschäftigten ihre Arbeit nicht ausführen. Zusteller werden über Telefon-Apps und Kameras überwacht, die in den Fahrzeugen installiert sind und durch Künstliche Intelligenz gesteuert werden. Amazon steht an der Spitze der Innovation bei digitalen Überwachungstechnologien und verkauft diese weiter: an Unternehmen in der Logistik und in anderen Wirtschaftszweigen. Die Demokratie am Arbeitsplatz, die Privatsphäre und die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten stehen hier auf dem Spiel.

 

Im September 2020 schrieb die US-Zentrale zwei Planstellen für Gewerkschaftsjäger aus, um weltweit die Gründung von Arbeitnehmervertretungen zu verhindern (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020). In Italien ist es am 15. September 2021 erstmal in einem EU-Land gelungen, einen Haustarifvertrag für alle Standorte durchzusetzen, nachdem im Mai 2018 ein Logistikzentrum den Anfang machte (siehe Bericht in den EBR-News 3/2018). Der Bericht von UNI global liegt in neun Sprachen vor.

 

Download des Berichts

Pressemitteilung von UNI und Download aller Sprachversionen

Bericht über den landesweiten Haustarifvertrag in Italien

Studie über das Verteilzentrum von Amazon in Erfurt


Strategien zur gezielten Unterrichtung und Anhörung des EBR

 

Seit September 2021 sind die Ergebnisse eines Projekts der Europäischen Föderation der Bau- und Holzarbeiter (EFBH) zu einigen Spezialthemen der Arbeit Europäischer Betriebsräte verfügbar. Das Projekt war auf die Sektoren Bau, Baustoffe, Zement und Holz zugeschnitten. Daraus sind vier Leitfäden in acht Sprachen entstanden, die auch für Europäische Betriebsräte in jeder anderen Branche nützlich sind. Die Broschüren zeigen, wie ein EBR seine Unterrichtungs- und Anhörungsrechte bei Gesundheit und Sicherheit, Aus- und Weiterbildung, Unterauftragsvergabe und demografischer Wandel nutzen kann, um eine aktive Rolle im organisatorischen Wandel zu spielen. Hierzu gibt es Checklisten, wie man sich auf die EBR-Sitzungen vorbereitet, welche Werkzeuge dem EBR zur Verfügung stehen und welche Verhandlungsrechte er geltend machen kann.

 

Download aller vier EBR-Leitfäden in allen Sprachen


Dürfen Gewerkschaften mit der Belegschaft digital kommunizieren?

 

Die Corona-Pandemie mit Lockdown und Homeoffice stellte Betriebsräte und Gewerkschaften vor die Frage, wie sie einen regelmäßigen Kontakt mit der Belegschaft aufrechterhalten können. Mit welchen digitalen Mitteln dürfen sie kommunizieren? Hierzu ist im Oktober 2021 ein Rechtsgutachten der Hans-Böckler-Stiftung erschienen. Es analysiert das digitale Zugangsrecht zum Betrieb und gibt einen Überblick über Möglichkeiten von Betriebsräten und Gewerkschaften zur Kommunikation in digitalen Räumen. Bisher verweigern viele Unternehmen die Nutzung betrieblicher Mailadressen, Firmen-Intranet oder virtueller Schwarzer Bretter. Gegen den Sportartikelhersteller Adidas ist derzeit ein beispielhaftes Gerichtsverfahren zu diesem Thema in der zweiten Instanz anhängig. In der Kautschukbranche einigte sich die Gewerkschaft IG BCE im Mai 2021 mit dem Arbeitgeberverband auf die deutschlandweit erste Sozialpartnervereinbarung zum digitalen Zugangsrecht.

 

Pressemitteilung zur Studie

Die Studie im Wortlaut

Bericht über die Vereinbarung in der Kautschukbranche

Die Vereinbarung im Wortlaut


Durchsetzung von Menschenrechten entlang globaler Lieferketten

 

Für den Übergang von freiwilligen Formen der sozialen Verantwortung von Unternehmen zu einer verpflichtenden menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht gibt es rechtliche Taktiken und gute Instrumente. Diese im Oktober 2021 erschienene Studie gibt einen Einblick in den juristischen Werkzeugkasten und erläutert, wie Gewerkschaften diese nutzen können. Analysiert werden weltweite Rahmenvereinbarungen mit multinationalen Unternehmen, Multi-Stakeholder-Initiativen, durchsetzbare Markenvereinbarungen, Leitsätze der OECD, Entschädigungsfonds und transnationale Rechtsstreitigkeiten. Um eine verbindliche Sorgfaltspflicht sicherzustellen, kündigte die Europäische Kommission den Entwurf eines Lieferkettengesetzes bis Jahresende 2021 an (siehe Bericht in den EBR-News 1/2021). Nachdem dies ohne Angaben von Gründen zum dritten Mal verschoben wurde, protestierten 46 Verbände am 8. Dezember 2021 in einem offenen Brief.

 

Download der Studie

Informationen zu Weltwirtschaft und Unternehmensverantwortung

Protestbrief an die Europäische Kommission

  12. Die EWC Academy: Beispiele aus unserer Arbeit

Europas größter Pharmahändler kauft zu

 

Am 12. und 13. Oktober 2021 fand die halbjährliche Sitzung des SE-Betriebsrates der Phoenix Pharma SE per Videokonferenz statt. Das Unternehmen aus Mannheim hat 40.000 Beschäftigte und ist in 26 europäischen Ländern im Großhandel von Arzneimitteln tätig und hat eigene Apotheken in 14 Ländern. Seit Dezember 2016 gibt es einen SE-Betriebsrat, der den 1996 gegründeten Europäischen Betriebsrat ablöste (siehe Bericht in den EBR-News 3/2017). Im Juli 2021 wurde bekannt, das Phoenix Pharma große Teile des Europageschäfts von McKesson übernimmt, einem US-Pharmagroßhändler. Im Hinblick auf diese bevorstehende Restrukturierung führte die EWC Academy für den SE-Betriebsrat eine Schulung zum Konsultationsverfahren durch.

 

Pressebericht über die Akquisition


Erste Schulung für Europäischen Betriebsrat in neuer Struktur

 

Am 14. und 15. Oktober 2021 kamen die Mitglieder des EBR von KWS Saat zum ersten Mal seit Beginn der Corona-Pandemie zu einer Präsenzsitzung zusammen. Die EWC Academy führte im Seminarhaus des Unternehmens nahe Northeim (Niedersachsen) eine Schulung durch. Der Saatguthersteller aus Einbeck hatte im Juli 2019 die Rechtsform gewechselt und den SE-Betriebsrat in einen Europäischen Betriebsrat umgewandelt. Obwohl dies vom Gesetzgeber nicht vorgesehen ist, konnten die Delegierten in der neuen Struktur ohne Unterbrechung und ohne Neuverhandlung der SE-Vereinbarung weiterarbeiten (siehe Bericht in den EBR-News 4/2019).


Schulung für SE-Betriebsrat beim Klebstoffhersteller

 

Am 26. Oktober 2021 führte die EWC Academy eine Schulung im Rahmen der halbjährlichen Sitzung des SE-Betriebsrates von tesa in Hamburg mit mehreren Arbeitsgruppen durch. Es war die erste Präsenzsitzung seit langer Zeit. Im Frühjahr 2020 hatte der Klebstoffhersteller seine Buchhaltungsabteilungen in Europa zentralisiert. Dabei wurde der SE-Betriebsrat während des Anhörungsverfahrens von der EWC Academy beraten. Die letzte Schulung hatte im November 2019 stattgefunden (siehe Bericht in den EBR-News 4/2019).

  13. Aktuelle Seminartermine

Die EWC Academy und ihre Vorläuferorganisation führt seit Januar 2009 Tagungen und Seminare für Mitglieder von Europäischen Betriebsräten, SE-Betriebsräten und Besonderen Verhandlungsgremien durch. Bisher haben daran 855 Arbeitnehmervertreter aus 295 Unternehmen teilgenommen, viele von ihnen auch mehrfach. Das entspricht 25% aller transnationalen Betriebsratsgremien in Europa. Hinzu kommen zahlreiche Inhouse-Veranstaltungen und Gastvorträge bei anderen Veranstaltern.

 

Überblick über die bevorstehenden Seminartermine


14. Hamburger Fachtagung für Europäische und SE-Betriebsräte


Wie jedes Jahr findet auch 2022 unsere Fachtagung statt, aufgrund der Corona-Pandemie aber nicht zum ursprünglich geplanten Termin im Januar sondern erst am 27. und 28. Juni 2022. Zu Beginn werden neueste Entwicklungen in der EBR- und SE-Landschaft und eine Gesetzesinitiative des Europäischen Parlaments unter dem Titel "Demokratie am Arbeitsplatz" vorgestellt, danach folgt ein Fallbeispiel aus einem Unternehmen und eine Untersuchung über transnationale Betriebsvereinbarungen. Am zweiten Tag werden Arbeitsgruppen zu EBR-Themen angeboten.

 

Das Programm der Fachtagung


Inhouse-Veranstaltungen


Eine Übersicht über mögliche Themen für Inhouse-Veranstaltungen finden Sie hier:

 

Beispiele für Inhouse-Seminare

  14. Impressum

Die EBR-News werden herausgegeben von:

EWC Academy GmbH
Rödingsmarkt 52, D-20459 Hamburg
www.ewc-academy.eu

Verteiler der deutschsprachigen Ausgabe: 23.131 Empfänger
Verteiler der englischsprachigen Ausgabe: 4.230 Empfänger
Verteiler der französischsprachigen Ausgabe: 4.145 Empfänger

Newsletter-Archiv: www.ebr-news.de

Hier können Sie die EBR-News beziehen oder abmelden.

Wir freuen uns über Anregungen zu diesem Newsletter und über Berichte aus Ihrem EBR.
Bitte schreiben Sie uns: info@ewc-academy.eu

powered by webEdition CMS